Kern- und Randvokabular

Sprachentwicklung und Vokabularauswahl. Kern- und Randvokabular in den Kölner Kommunikationsmaterialien

Prof. Dr. Jens Boenisch/Dr. Stefanie K. Sachse

In diesem Projekt wurden 2007 ein Kommunikationsordner und mehrere Kommunikationstafeln entwickelt, die Kern- und Randvokabular beinhalten und so zur Unterstützung des Spracherwerbs von Kindern ohne Lautsprache geeignet sind. Diese Materialien sind auf der Basis von Untersuchungsergebnissen zum Wortschatzgebrauch von Kindern mit und ohne Körperbehinderung entstanden.

Einen Grundlagenbeitrag zum Thema finden Sie im Handbuch für Unterstützte Kommunikation: Sachse, S./Boenisch, J. (2009): Kern- und Randvokabular in der Unterstützten Kommunikation: Grundlagen und Anwendung. In: von Loeper/ISAAC (Hrsg.): Handbuch der Unterstützten Kommunikation, Teil 1: Grundlagen, Karlsruhe.

 

Weitere Informationen

Kernvokabular in der Unterstützten Kommunikation

Zum Kernvokabular zählen die am häufigsten verwendeten 200-300 Wörter einer Sprache. Im Deutschen sind das z.B. ich, du, und, auch, oder, nicht, mit, bin, was, haben, möchten, können und sein. Egal über welches Thema gesprochen wird - diese Wörter kommen immer wieder vor. Deshalb müssen sie auch in der Unterstützten Kommunikation Berücksichtigung finden.
Mehr dazu bei: Sachse, St. (2007): Zur Bedeutung von Kern- und Randvokabular in der Alltagskommunikation. In: Unterstützte Kommunikation 3/2007.

Die Idee

Die Materialien zeigen, wie in Kommunikationsordnern und auf Tafeln Kern- und Randvokabular so angeordnet werden kann, dass eine Nutzung der am häufigsten gebrauchten Wörter bzw. des Kernvokabulars bei verschiedenen Themen möglich ist.
Das verwendete Kernvokabular wurde auf der Grundlage einer Untersuchung von Kindersprache ausgewählt.
Mehr dazu bei: Boenisch, J./Sachse, St. (2007): Sprachförderung von Anfang an: Zum Einsatz von Kern- und Randvokabular in der frühen Förderung. In: Unterstützte Kommunikation 3/2007.
Boenisch, J./Musketa, B./Sachse, St. (2007): Die Bedeutung des Vokabulars für den Spracherwerb und Konsequenzen für die Gestaltung von Kommunikationsoberflächen. In: Sachse, St./ Birngruber, C./Arendes, S. (Hrsg.): Lernen und Lehren im Kontext der Unterstützten Kommunikation. Karlsruhe.

Ziele

Durch das Angebot von Kern- und Randvokabular können nicht nur eindeutigere und vollständigere Aussagen gebildet werden (z.B. mit der 140er Tafel oder dem Ordner: Was hast du zu Oma gesagt? oder: Warum darf ich nicht mit-kommen?). Durch die Möglichkeit der Kombination der Wörter kann auch die Sprachentwicklung unterstützt werden (zu Beginn Einwort-Sätze, später Zwei-, Drei- und Mehrwortsätze). Außerdem kann man mit relativ wenig Wörtern in vielen Situationen kommunizieren. Was hören wir von sprechenden Kindern? Ich auch. Und du? Ich kann das nicht. Warum immer ich? Weißt du was? Warum? Aber ganz lange! Auch die auf UK angewiesenen Kinder sollen diese wichtigen Ausdrucksmöglichkeiten haben.

 

Die Überarbeitung der Materialien (Stand: Mai 2011)

Mit den neuen Kölner Kommunikationsmaterialien reagieren wir auf vielfältige Rückmeldungen aus der Praxis. Die Neuerungen betreffen u.a. das Vokabular, die Anordnung und die verwendete Schriftart:

… Schriftart
Auf allen Tafeln und im Ordner wird eine Schriftart verwendet, die sich an der Schulausgangsschrift orientiert.

… PCS und Metacom
Die Materialien werden jetzt sowohl mit PCS als auch mit Metacom-Symbolen angeboten.

… Vokabularauswahl
Aufgrund aktueller, umfangreicherer Untersuchungen und Rückmeldungen aus der Praxis wird ein leicht verändertes Vokabular angeboten. Ergänzt wurden z.B. fertig, warten, dann.

… Fingerführung
Eine optional erhältliche Fingerführung erleichtert die Nutzung des Ordners bei eingeschränkter Motorik.

Neben diesen und weiteren Änderungen wurden auch Materialien zum Wortschatzaufbau (Konzept der Fokuswörter, 2011) entwickelt und die Vokabularanordnung auf eine elektronische Kommunikationshilfe übertragen (MyCore-Projekt, 2011-2013).

 

Förderung & Einsatz von Kern- und Randvokabular: Mitnutzen als zentrale Aufgabe

Ordner, Symbole (c) Metacom

Ein Kommunikationssystem nutzen zu lernen ist eine komplexe Aufgabe. Dabei gilt es nicht nur sich „Vokabeln" anzueignen, sondern vielfältige Erfahrungen im Einsatz der Vokabeln zu sammeln und so zu lernen, wie man sich mit dem Kommunikationssystem verständigen kann. Wenn die Bezugspersonen die Kommunikationshilfe kontinuierlich Mitbenutzen, liefern sie ein wichtiges Vorbild/Modell. So kann das Kind erleben, wie man z.B. mit der Tafel etwas fragen oder kommentieren kann. Das Mitbenutzen bzw. Modeling ist eine der wichtigsten Strategien in der UK-Förderung.

Eine Untersuchung von Binger/Light (2007) zeigt z.B., dass Modeling die Produktion von ‚Mehr-Symbol-Äußerungen‘ effektiv unterstützt. Neben Erweitern, Korrigieren und Verbalisieren kann man auch das letzte Wort auslassen: Jetzt machen wir deine Jacke ___; Jetzt machen wir die Tür ___; Jetzt mach ich deine Brotdose ___ .

Mehr dazu bei: Sachse, St. (2009): Kern- und Randvokabular in der Unterstützten Kommunikation. Sprachentwicklung unterstützen, Förderung gestalten. In: Birngruber, C./Arendes, S. (Hrsg.): Werkstatt Unterstützte Kommunikation. Karlsruhe, 109-126.

 

Das Konzept der Fokuswörter

Gail van Tatenhove (2008) schlägt vor, im Rahmen der UK-Interventionen über mehrere Jahre einen Wortschatz zu erarbeiten, der vorrangig aus situationsunabhängig zu gebrauchenden Wörtern bzw. aus Kernvokabular besteht. In Anlehnung an diese Idee wird mit dem Konzept der Fokuswörter ein Vorschlag zum konkreten Vorgehen unterbreitet:

Das Konzept der Fokuswörter umfasst zunächst einen Zielwortschatz von 100 sog. Fokuswörtern. Diese bestehen vorrangig aus Kernvokabular (70). Individuell zu ergänzen ist ein Randvokabular (Vorschlag: 30 Inhaltswörter), das sich an den Interessen und den Lebensbedingungen der u.k. Person orientiert. 

Im Rahmen der UK-Interventionen rücken nach und nach jeweils 5-6 Wörter aus dem Zielwortschatz in den ‚Fokus‘, d.h. dass diese Fokuswörter über einen bestimmten Zeitraum verstärkt von den Bezugspersonen in der jeweiligen Zielkommunikationsform mitgenutzt werden. In diesem Zeitraum werden die Fokuswörter konsequent verwendet– unabhängig davon, ob ein Kind evtl. auch nach  vier Wochen noch keine Wörter imitiert oder selbst produziert. Die Evaluation findet immer erst nach dem festgelegten Zeitraum statt. Dann wird im Team entschieden, ob die gleichen Wörter über einen längeren Zeitraum weiterverwendet werden oder ob schon erste Imitationen und Produktionen beobachtet werden konnten, so dass die nächste Reihe in den Fokus rücken kann. 

Mehr dazu bei: Sachse, S./Willke, M. (2011): Fokuswörter in der Unterstützten Kommunikation. Ein Konzept zum sukzessiven Wortschatzaufbau. In: Bollmeyer, H. et al. (Hrsg.): UK inklusive – Teilhabe durch Unterstützte Kommunikation. Karlsruhe.

 

Die Materialien im Einzelnen

Tafel mit 140 Feldern (A3) - wahlweise mit Metacom oder PCS:

Tafel mit 140 Feldern…     mit Kernvokabular und Grundwortschatz, in der Mitte (farbig hinterlegt) mit Beispiel-Randvokabular
…     Positionen der Wörter wie auf der reduzierten Tafel und wie im Ordner
...     Wortschatzumfang: 140 Wörter

 

Reduzierte Version der Tafel (40 Felder, A3, A4) - wahlweise mit Metacom oder PCS:

40er Tafeln…     Vorschlag für ein reduziertes Vokabular mit nur 40 Wörtern. Vielleicht ist die Tafel mit 140 Feldern zu komplex, um damit einzusteigen. Deshalb wird hier ein Vorschlag für eine reduzierte Oberfläche gemacht (angelehnt an die Lautsprachentwicklung werden hier Wörter angeboten, die Kinder recht früh lernen (z.B. Mama, Papa, kleine Wörter zur Beschreibung von Situationen und Handlungen wie Papa weg oder Auto putt, den eigenen Namen). Sind die Felder zu klein und/oder die A3-Tafel zu groß, dann wird mit der A4-Tafel mit 40 größeren Feldern eine Alternative zum Einstieg angeboten.
…     Wortschatzumfang: 40 Wörter

 

Kommunikationsordner mit Beispielseiten für Randvokabular - wahlweise mit Metacom oder PCS:

Ordner...    verfügt über einen deutlich umfangreicheren Wortschatz, stellt eine Erweiterung der Tafel dar. Bietet viel Platz für die Ergänzung von Aussagen und ermöglicht - wie die 140er Tafel - neben der Kombination von Kern- und Randvokabular auch die Nutzung von Partizip-II-Formen (ge-fahren, ge-dacht).
…     mit Einsteckhüllen für das Kernvokabular, optionaler Fingerführung, einem Vorschlag zur Kategorisierung und Anordnung des Vokabulars der Innenseiten
…     Wortschatzumfang inkl. ausgewählter Beispiel-Innenseiten: ca. 450 Wörter

 

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