Kristin Hensges und Andrea Taegner
Pro-Ana Foren im Internet: Eine multimethodale Befragungsstudie ihrer Nutzer/-innen.
Diplom Psychologie – Klinische Psychologie
Kontakt: kristin_hensges@gmx.de; ataegener@googlemail.com
Einleitung
Die sogenannte Pro-Anorexia/Pro-Bulimia („Pro-Ana“) Bewegung im Internet hat in den letzten Jahren erhebliche Besorgnis und Kritik erregt. Unter der Annahme, dass sich die Mitgliedschaft in diesen Foren gefährlich sowohl auf Betroffene als auch auf Nicht-Betroffene von Essstörungen auswirkt, kommt es immer wieder zu Schließungen von Internetseiten, die Essstörungen verharmlosen oder als Lifestyle propagieren. Bislang liegen jedoch nur wenig aussagekräftige Studien vor, die Pro-Ana Foren hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit untersucht haben.
Fragestellung
Ziel der Untersuchung ist ein näheres Verständnis der Pro-Ana Bewegung: Wer nutzt Pro-Ana Foren und aus welchen Motiven? Welche Auswirkungen hat die Forenmitgliedschaft auf den Wunsch nach Gewichtsreduktion, Therapiebereitschaft und das psychische Wohlbefinden? Welche Gefahren oder ggf. auch salutogenen Effekte lassen sich aus diesen Auswirkungen ableiten?
Untersuchungsdesign
Die Daten wurden mittels einer Online-Befragung und telefonischer Interviews erhoben. N = 220 Nutzer/-innen deutschsprachiger Pro-Ana Foren (Alter: M = 20,40; SD = 4,34) beantworteten einen selbst konstruierten Fragebogen sowie zwei standardisierte Instrumente zur Ermittlung der allgemeinen psychischen Belastung (Brief Symptom Inventory) und des spezifischen Essverhaltens (Eating Attitudes Test). Halbstandardisierte Interviews mit N = 15 Befragten dienten der vertieften Erfassung ihrer subjektiven Sicht auf die Pro-Ana Bewegung und die Auswirkungen ihrer Mitgliedschaft.
Ergebnisse
Die Gesamtstichprobe (97,7 % weibliche Teilnehmerinnen) weist eine hohe psychische Belastung und starke Ausprägung essgestörter Symptomatik auf (u. a. 42,4 % Anorexia nervosa, 14,8 % Bulimia nervosa etc.). Es zeigt sich, dass Pro-Ana Foren aus z. T. widersprüchlichen Motiven genutzt werden, die von der Suche nach emotionaler Unterstützung über den Wunsch nach Gewichtsreduktion bis hin zum konträren Motiv, der Überwindung der Essstörung, reichen. Dabei wurde Motiven der emotionalen Unterstützung am stärksten zugestimmt (M = 3,10, SD = 1,19 bis M = 3,86, SD = 0,51; Skala von 0 bis 4). Ein Drittel der Befragten gab an, dass die Nutzung von Pro-Ana Seiten bei der Überwindung einer Essstörung förderlich sein könne. Angaben, die als „typisch“ für die Pro-Ana Bewegung gelten, wie z.B. die Einschätzung, Anorexia nervosa sei ein Lifestyle, fanden nur sehr geringe Zustimmung. Die Mitgliedschaft in Pro-Ana Foren hat Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden, die als salutogen zu bewerten sind. Jedoch wirkt sie sich auch auf das Essverhalten aus und bietet somit Grund zur Besorgnis.
Mittels einer Clusteranalyse konnten drei Nutzertypen identifiziert werden, die sich hinsichtlich der Nutzungsmotive, des Alters sowie der Dauer der Mitgliedschaft und der Essstörung voneinander unterscheiden. Während für den heilungsorientierten Nutzertyp (n = 82) die Überwindung der Essstörung im Vordergrund steht, nutzt der krankheitsaufrechterhaltende Nutzertyp (n = 89) Pro-Ana Foren aus Motiven, die eine Manifestation der Krankheit befürchten lassen. Der bewältigungsindifferente Nutzertyp (n = 49) weist eine widersprüchliche Motivlage in Bezug auf die Überwindung der Essstörung auf.
Schlussfolgerung
Pro-Ana Foren werden aus ganz unterschiedlichen Motiven frequentiert, wobei sich die Foren in ihrer Ausrichtung unterscheiden. Die öffentliche Kritik an diesen spezifischen Essstörungs-Plattformen ist nur bedingt gerechtfertigt und ein pauschales Verbot auf der Grundlage der vorliegenden Befunde kontraindiziert.