Judith Busch Intention, Praxis und Effekte der Profession des `Spezialpädagogen´ in Schweden
Madeleine Binner & Nina Blakowski
Sexuelle Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung
Sarah Strauß Peer-Involvement – Eine neue Chance in der Suchtprävention mit Jugendlichen?!
Untersucht am Beispiel des Projektes an.sprech.bar
Michael Grosche Motivationale Handlungskonflikte und motivationale Interferenz in Hausaufgaben-
situationen bei aggressiven Jugendlichen
Cosima Teuffer „The Lady of Shalott“. Die Rezeption einer handarbeitenden Frau in der bildenden Kunst
des viktorianischen England
Kristin Müller Die Motivation zur Berufswahl Psychotherapeut – Ein Vergleich zwischen Schülern,
Studierenden und (angehenden) Psychotherapeuten auf der Basis des Kölner Inventars zur
Berufsmotivation zur Psychotherapie (KIBMOPS)
Julia Pleuß Phonologische Bewusstheit und Lesefähigkeit bei Kindern und
Jugendlichen mit Down-Syndrom
Posterpräsentationen Michael Kleinen Carmen Klosterjeck
Judith Dorniak Sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie und Psychiatrie
Lars Maus Der Objektivitätsbegriff bei Ranke und Droysen
Anna Conrads Bindungsstörungen im Kindesalter
Vorträge
Judith Busch
„Intentionen, Praxis und Effekte der Profession des ‚Spezialpädagogen’ in Schweden“
(empirische Diplomarbeit, Heilpädagogik, Allgemeine Heilpädagogik)
Einleitung
Im bildungspolitischen Kontext gilt Schweden als vorbildlich bei der
Umsetzung des Leitkonzeptes einer inklusiven „Schule für alle“ im
Rahmen der nationalen Gesetzgebung, aber auch in dem Konzept der
schwedischen Einheitsschule (grundskola). Als „Veränderungsagenten“ im
Namen einer „Schule für alle“ werden gern die schwedischen
Spezialpädagogen bezeichnet, eine Berufsgruppe, die seit Anfang der
1990er Jahre in schwedischen Schulen und anderen pädagogischen
Einrichtungen zu finden ist.
Fragestellung
Die übergeordnete Fragestellung der Arbeit lässt sich zusammengefasst
so ausdrücken: Was sind die Intentionen, was ist die Praxis und was
sind die Effekte der Profession des Spezialpädagogen in Schweden?
Der erste Teil der Frage zielt auf die intendierte Berufsrolle des
Spezialpädagogen, dokumentiert in offiziellen Berufsbeschreibungen,
Verordnungen etc. Dazu gehören auch die historischen und
gesellschaftlichen Entwicklungen, die zu dem heutigen Berufsbild
geführt haben.
Der zweite Teil der Frage zielt auf die Berufswirklichkeit von
Spezialpädagogen. Dabei interessieren weniger Aussagen über die
Berufsgruppe, als vielmehr individuelle Erfahrungsberichte und
Wertungen einzelner Spezialpädagogen.
Der dritte Teil der Frage zielt auf die Wirksamkeit oder den Erfolg der
Berufsgruppe des Spezialpädagogen im schulischen Umfeld. Interessant
ist vor allem, was die Profession der Spezialpädagogen im Kontext der
schwedischen „Schule für alle“ zur Inklusion beitragen kann.
Untersuchungsdesign
Das methodische Vorgehen beinhaltet sowohl eine analytisch-kritische
Bearbeitung der relevanten schwedischen Fachliteratur unter besonderer
Berücksichtigung historischer und gesellschaftlicher Hintergründe, als
auch eine phänomenologisch begründete qualitativ-empirische
Untersuchung, die auf den Daten von sechs problemzentrierten Interviews
mit Spezialpädagogen, zwei Experteninterviews und zwei protokollierten
Gesprächen mit Vertretern benachbarter Berufsgruppen basiert. Die Daten
aus einem Fragebogen an die Spezialpädagogen fließen ebenfalls in die
Auswertung ein.
Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass die bildungspolitisch intendierte Funktion
von Spezialpädagogen von deren tatsächlicher Funktion divergiert. Die
Ausbildungsstätten bereiten ihre Studenten auf eine primär beratende
Funktion im Lehrerkollegium vor, so dass Regelschullehrer mit deren
Unterstützung allen Schülern im Klassenverband gerecht werden können.
Zwei Probleme werden offenbar:
1) Erst seit der Lehrerausbildungsreform 2001 werden alle Lehrer dafür
ausgebildet, pädagogisch für die Vielfalt der Schülerpopulation
zuständig zu sein.
2) Traditionell haben Speziallehrer als „Vorgänger“ der
Spezialpädagogen die Aufgabe gehabt, schwache, langsame oder störende
Schüler meist außerhalb des Klassenverbandes in speziellen Klassen und
Gruppen zu fördern.
Diese Erwartung begegnet auch den heutigen Spezialpädagogen. Weiterhin
zeigen die Interviews, dass die Möglichkeit einer Berufsausübung nach
den ausbildungspolitischen Intentionen durch eine Vielzahl von Faktoren
bestimmt wird. Neben den Erwartungen und Traditionen des schulischen
Umfelds sind besonders die Schulleitung, die kommunale und nationale
Ökonomie und die Politik der Regierung, aber auch die innere
Identifikation mit dem neuen Berufsbild und die individuelle Wahl, zu
welchen Zwecken Spezialpädagogen „ihre Kompetenzen zur Verfügung
stellen wollen“ (Emanuelsson), von Bedeutung.
Resümee
Bei der Synthese der Ergebnisse, unter Einbeziehung der aktuellen
Debatte um die Zukunft der Spezialpädagogen, wurde deutlich, dass eine
Klärung der Spezialpädagogenrolle notwendig ist. Schon vor ihrem
Wahlsieg bei der schwedischen Reichstagswahl im September 2006 hat die
bürgerliche Allianz ihr Programm zu dieser Frage vorgestellt: Es müssen
wieder Speziallehrer ausgebildet werden. Abzuwarten bleibt, wie sich
die Rolle beider Berufsgruppen in den nächsten Jahren verändern wird.
Madeleine Binner und Nina Blakowski
„Sexuelle Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung – Situationsanalyse und Prävention“
(empirische Examensarbeit, LA Sonderpädagogik, Geistigbehindertenpädagogik)
Einleitung
Sexuelle Gewalt ist in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema – über
sexuelle Gewalt gegen Menschen mit (geistiger) Behinderung (MmGB) wird
noch weniger gesprochen. Dass es überhaupt zu sexueller Gewalt gegen
MmGB kommt - und das weitaus häufiger als angenommen - wurde erst
Anfang der 90er Jahre in Studien aufgezeigt.
Fragestellung
Die Examensarbeit ist in zwei Teile gegliedert, wobei der erste Teil
die theoretischen Grundlagen aufgreift. Es wird der Frage nachgegangen,
was sexuelle Gewalt bei Menschen mit geistiger Behinderung ist, und wie
durch Prävention und Intervention dagegen angegangen werden kann.
Aus unserer Studie (zweiter Teil) soll hervorgehen, inwieweit das Thema
der sexuellen Gewalt im Schulalltag gegenwärtig ist, und ob
Präventionsmaßnahmen und Sexualerziehung im Unterricht verankert sind.
Ebenfalls interessierte uns die Frage, inwieweit die Erfahrungen aus
der Schulpraxis mit den von uns erarbeiteten theoretischen Grundlagen
übereinstimmen. Schwerpunkte wurden auf die Sexualerziehung in Schulen
und auf sexuelle Gewalt gelegt.
Untersuchungsmethode
Für unsere Untersuchung wählten wir die Methode der schriftlichen Befragung in Form von Fragebögen.
Wir haben mehrere Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige
Entwicklung willkürlich per E-Mail angeschrieben, um zu fragen, ob sie
bereit wären, an der Befragung teilzunehmen.
An der Befragung nahmen 131 Lehrkräfte aus 15 Schulen in den
Bundesländern Niedersachsen, Sachsen, Baden-Württemberg und
Nordrhein-Westfalen teil.
Ergebnisse
Geistige Behinderung stellt einen erhöhten Risikofaktor dar, Opfer
sexueller Gewalt zu werden. So gaben 40% der Befragten an, mindestens
einen Fall von sexueller Gewalt in ihrer Klasse zu kennen.
Sexualerziehung wird von 85% der Befragten als Präventionsmaßnahme
gegen sexuelle Gewalt gesehen. Scheinbar hängt es nicht vom Alter der
Lehrer ab, ob in den Klassen Sexualerziehung unterrichtet wird, sondern
vielmehr von dem Alter der Schüler.
So unterrichtet ungefähr die Hälfte der Lehrer, die angaben, dass
Sexualerziehung kein Thema im Unterricht ist, in der Unterstufe.
Erschreckend ist aber vor allem die Zahl derer, die in der Ober- oder
Werkstufe unterrichten und keine Sexualerziehung durchführen. Diese
Angaben wurden von 22% der Befragten gemacht.
Als Grund für die ausbleibende Sexualerziehung wurde von mehr als der
Hälfte angegeben, dass der Lehrplan dieses Thema zur Zeit nicht vorsehe.
Wir konnten feststellen, dass das Thema der sexuellen Gewalt in Schulen
recht häufig präsent ist, so gab lediglich ein Fünftel an, dass über
das Thema in der Schule nicht gesprochen wird.
Elternarbeit als Präventionsmaßnahme wurde von nur 58% angegeben. Hier
sollte man dringend ansetzen, damit Schule und Elternhaus Hand in Hand
arbeiten können und die Kinder keine einmalige Sexualaufklärung
erhalten, sondern die Sexualerziehung in die alltägliche Erziehung
einfließen kann. Außerdem ist es wichtig, dass Eltern um das spezielle
Risiko ihrer Kinder wissen.
Um das Angebot an Informationen bezüglich sexueller Gewalt gegen
Menschen mit geistiger Behinderung zu verbessern und vor allem zu
vergrößern, wären aktuelle repräsentative empirische Untersuchungen
dringend notwendig - die letzten veröffentlichten Untersuchungen liegen
ungefähr 10 Jahre zurück.
Sarah Strauß
„Peer-Involvement - Eine neue Chance in der Suchtprävention mit
Jugendlichen?! Untersucht am Beispiel des Projektes an.sprech.bar“
(Literaturarbeit, Erziehungswissenschaft)
Die Arbeit setzt sich mit dem Thema Peer Involvement in der
Suchtprävention mit Jugendlichen auseinander. Peer Involvement stellt
eine mögliche Methode in der Präventionsarbeit dar, die auf der
besonderen Beziehung zwischen Gleichaltrigen aufbaut, Jugendliche als
Experten ihrer eigenen Situation anerkennt und unmittelbar in die
Präventionsarbeit mit einbezieht.
Ziel der Arbeit ist es, einen Überblick darüber zu schaffen, was Peer
Involvement und damit verbundene Ansätze auszeichnet und
herauszuarbeiten, ob der Boom dieser Ansätze in der Praxis
gerechtfertigt ist. Hierbei werden die theoretischen Hintergründe und
darauf aufbauend die Wirkweise von Peer Involvement beschrieben.
Die Arbeit soll zur Orientierung und Vereinfachung in der kaum zu
überblickenden Flut von Begrifflichkeiten (z.B. Peer Education, Peer
Tutoring, Peer Support, Peer Counseling usw.) führen. Im Zuge der
schnellen und zahlreichen Verbreitung von Projekten, die sich selbst
dem Peer Involvement zuordnen, werden auch schwierige und kritische
Aspekte dieses Ansatzes betrachtet. Parallel dazu wird ein Überblick
über primäre und sekundäre Suchtprävention, Substanzkonsum bei
Jugendlichen und dessen Spezifik, sowie den entwicklungstheoretischen
Hintergrund gegeben. Zur praktischen Erläuterung der theoretischen
Inhalte wird das Kölner Suchtpräventionsprojekt "an.sprech.bar“
vorgestellt.
Bei der Betrachtung des Suchtpräventionssystems in Deutschland sind
jugendspezifische Defizite und Lücken zu erkennen. So ist
festzustellen, dass besonders für konsumierende Jugendliche ein eher
geringes Angebot besteht, so dass durch vorhandene Präventionsmaßnahmen
meist nur drogenabstinente Jugendliche und drogenabhängige Erwachsene
erreicht werden.
Die Betrachtung von jugendlichem Drogenkonsum weist zwei Kennzeichen
auf. Auf der einen Seite haben sich in den letzten Jahren keine
extremen Veränderungen in den Konsummustern von Jugendlichen ergeben,
obwohl dies oft so dargestellt wird. Auf der anderen Seite fehlen hier
jedoch eindeutige, positive Veränderungen. Besonders die Gruppe der 16-
bis19jährigen Jugendlichen ist als Gruppe erkennbar, die am meisten
konsumiert und die kritischsten Konsummuster aufweist. Darüber
hinausgehend zeigt sich, dass der Konsum von Drogen bei Jugendlichen
und jungen Erwachsenen insgesamt einige Besonderheiten aufweist und
nicht mit dem Konsum von Drogen im Erwachsenenalter gleichgesetzt
werden kann. Das Jugendalter hat zwar zentrale Bedeutung für die
Entwicklung von Suchtstrukturen, die sich im Erwachsenenalter
verfestigen und fortsetzten können, jedoch ist bei den meisten
Jugendlichen der zum Teil exzessive Drogenkonsum ein vorübergehendes
Phänomen. Risikoverhalten im Jugendalter, wozu auch der Drogenkonsum
gezählt wird, kann eine positive Funktionalität für die Bewältigung von
Entwicklungsaufgaben haben und entlastend wirken.
Bei der Betrachtung der Vielfalt an Projekten, die sich selbst als
Peer-Projekte betiteln, fällt auf, dass in der aktuellen Literatur
zahlreiche Bezeichnungen für diese Art der Arbeit nebeneinander
existieren und nicht trennscharf voneinander abgegrenzt sind. Peer
Involvement ist hierbei als eine Art Überbegriff für Projekte und
Ansätze zu verstehen, die Jugendliche ausbilden, um andere Jugendliche
über bestimmte Themen zu informieren oder zu beraten.
Bei der Beleuchtung des theoretischen Hintergrundes von Peer
Involvement hat sich herausgestellt, dass dieser breit gefächert ist,
generell jedoch in den zahlreichen Praxisbeschreibungen von Peer
Involvement meist wenige, kurze oder nur allgemeine Hinweise auf die
zugrunde liegende Theorie vorhanden sind. In dieser Arbeit werden die
verschiedenen Hinweise zusammengefasst und intensiver beleuchtet. Eine
besondere Rolle spielt hierbei die Entwicklungspsychologie und
insbesondere die Aufgaben und Funktionen der Gleichaltrigengruppe.
Neben der Entwicklungspsychologie wurden die Bedeutung des
Modelllernens, die Theorie der sozialen Impfung und die Theorie der
Diffusion von Informationen als theoretische Basis für Peer Involvement
betrachtet. Die Gemeindepsychologie und die mit ihr verbundenen Themen
Partizipation und Empowerment spielen besonders in Hinblick auf die
Sensibilisierung und die Verbreitung jugendspezifischer Belange und für
die Anerkennung jugendlicher Kompetenzen eine besondere Rolle.
Abschließend wird die Jugend- und Szenesprache als Eigenheit von
jugendlichen Subkulturen betrachtet.
Die Arbeit endet mit einer kritischen Betrachtung des Peer
Involvement-Ansatzes, die sowohl Praktiker, als auch Theoretiker darauf
hinweisen soll, dass Peer Involvement kein Ansatz ist, der aufgrund
seiner momentan starken Verbreitung leichtfertig übernommen oder zu
idealistisch betrachtet werden sollte. Dies stellt auch gleichzeitig
den ersten Kritikpunkt dar, der auf die bisher mangelnde empirische
Nachweisbarkeit dieses Ansatzes hinweist. Es stellt sich die Frage, ob
klassische Präventionsprogramme nicht vielleicht wirksamer oder gleich
wirksam sind. Des Weiteren ist offen, ob Peer Involvement tatsächlich
eine Methode darstellt, die den beteiligten Jugendlichen Möglichkeiten
zur Partizipation bietet, oder einen Eingriff in die jugendliche
Subkultur darstellt, der einen stark instrumentellen Charakter hat und
Jugendlichen einen Bedarf an Hilfe von außen zuschreibt. Es wird darauf
hingewiesen, dass Jugendliche und auch die Gruppe der
drogenkonsumierenden Jugendlichen nicht als einheitliche Gruppe
betrachtet werden kann. Unterschiede in Herkunft, Alter und nicht
zuletzt Geschlecht sind wichtige Eigenschaften, die nicht
vernachlässigt werden dürfen. Von einigen Kritikern wird darauf
hingewiesen, dass Peerbeziehungen in Peer Involvement-Projekten
beschönigt dargestellt werden und dass die Teilnahme an Peer
Involvement-Projekten möglicherweise sogar negative Auswirkungen für
Jugendliche haben kann. Nicht zuletzt ist anzumerken, dass es
fragwürdig ist, ob die wirklich gefährdeten Jugendlichen und Subgruppen
überhaupt durch Peer Involvement erreicht werden können.
Bezugnehmend auf den Titel der Arbeit ist die Autorin abschließend zu
einem bejahenden Ergebnis gekommen, da Peer Involvement trotz einiger
zu beachtender Kritikpunkte, Chancen in der Präventionsarbeit bietet
eine bisher kaum erreichte Zielgruppe effektiv anzusprechen.
Bezugnehmend auf den Titel der Arbeit ist die Autorin abschließend zu
einem bejahenden Ergebnis gekommen, da Peer Involvement - trotz einiger
zu beachtender Kritikpunkte - Chancen bietet, in der Präventionsarbeit
eine bisher kaum erreichte Zielgruppe effektiv anzusprechen.
Michael Grosche
„Motivationale Handlungskonflikte und motivationale Interferenz in Hausaufgabensituationen bei aggressiven Jugendlichen“
(empirische Examensarbeit, LA Sonderpädagogik, Heilpädagogische Psychologie)
Einleitung
Effektivitätsstudien zu Hausaufgaben zeigen, dass engagiertes
Hausaufgabenverhalten die Schulleistung positiv beeinflusst, jedoch die
für die Hausaufgaben aufgewendete Zeit durch motivationale Probleme
konfundiert ist und daher keinen oder sogar einen negativen Beitrag zur
Schulleistungsentwicklung liefert (z.B. Schnyder et al., 2006; Niggli
et al., 2007). Bisher wurde das Lern- und Arbeitsverhalten von
aggressiven Schülern im Allgemeinen und während der Hausaufgaben im
Speziellen wenig untersucht, obwohl sich zur Erklärung von Lern- und
Verhaltensstörungen zum Teil ähnliche theoretische Zugänge anbieten
(zusf. Schröder et al., 2002; Linderkamp & Grünke, 2007). Meist
wird implizit davon ausgegangen, dass aggressive Schüler durch ihr
Verhalten weniger Zeit zum Lernen aufwenden (können). Wenn aber die
Hausaufgabenzeit keinen Beitrag zur Erklärung der Leistungsentwicklung
liefert, so stellt sich erst recht die Frage, ob aggressive Schüler die
Hausaufgaben gleich effektiv nutzen können wie ihre nicht-aggressiven
Klassenkameraden, zumal Hausaufgaben einen Beitrag zur
Aufrechterhaltung von Verhaltensstörungen liefern können (Naumann,
2004; Lauth & Heubeck, 2006).
Um diese Frage zu beantworten, wurde für die vorliegende Studie die
Theorie motivationaler Handlungskonflikte (Hofer, 2004, 2007) als
Fundierung gewählt, die einen Ansatz des selbstregulierten Lernens
darstellt und damit für die Erforschung von Hausaufgabensituationen
besonders geeignet ist (Trautwein & Köller, 2003). Die Theorie
motivationaler Handlungskonflikte postuliert, dass die Anreize von
Freizeithandlungen (z.B. Fernsehen oder Freunde treffen) zu einem
Entscheidungskonflikt zwischen Hausaufgaben und Freizeit führen.
Sollten sich Schüler nach einem Handlungskonflikt dennoch für die
Hausaufgabenerledigung entscheiden, so werden Einbußen im Lernverhalten
und Erleben (motivationale Interferenz) angenommen.
Fragestellung
Der Studie liegt die Frage zugrunde, ob sich männliche aggressive
Schüler von nicht-aggressiven Schülern in ihrem Hausaufgabenverhalten
hinsichtlich (a) motivationaler Handlungskonflikte, (b) motivationaler
Interferenz und (c) aggressiver Reaktionen auf Handlungskonflikte
unterscheiden? Dazu wurden sechs Hypothesen aufgestellt (s.u.).
Methodik
Insgesamt wurde die Selbsteinschätzung von 260 männlichen Schülern aus
24 Klassen von 6 Hauptschulen bezüglich der Konstrukte „motivationale
Handlungskonflikte“ und „motivationale Interferenz“ mit Hilfe eines
vollstandardisierten Fragebogens erhoben, dessen Items von den
Arbeitsgruppen um Manfred Hofer (Universität Mannheim) und Ulrich
Trautwein (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin) entwickelt
wurden. Zusätzlich gingen sechs selbstentworfene Items zur aggressiven
Reaktion auf Handlungskonflikte in den Fragebogen ein. Nach einer
Reliabilitätsanalyse wurden zwei der letztgenannten Items eliminiert,
wodurch die Reliabilität gesichert wurde (Cronbach’s α zwischen .74 und
.80). Die Aggressivität wurde mit dem Youth Self-Report (Arbeitsgruppe
Deutsche Child Behavior Checklist, 1998) erhoben und durch eine
Lehrereinschätzung verifiziert. Insgesamt konnten so n = 43 aggressive
Schüler gefunden werden, die mit n = 43 nicht-aggressiven
Klassenkameraden anhand des sozioökonomischen Status, der
Klassenzugehörigkeit und des Alters (mittleres Alter 15 Jahre)
sorgfältig parallelisiert wurden. Zusätzlich wurden so Lehrer- und
Schulvariablen in beiden Gruppen konstant gehalten. Die Hypothesen
wurden mit dem T-Test für abhängige Stichproben überprüft.
Ergebnisse
Die Hypothesen konnten mit einer Ausnahme signifikant bestätigt werden.
Aggressive Schüler erleben vermehrt motivationale Handlungskonflikte
(t(39) = 3.637, p = .001, d = 0.83) und entscheiden sich in ihnen eher
für die Freizeithandlung (t(41) = 5.354, p = .000, d = 1.14).
Bearbeiten sie dennoch die Hausaufgaben, erleben sie stärkere
kognitive, affektive und behaviorale Einschränkungen als ihre
nicht-aggressiven Mitschüler: Sie berichten über stärkere Einbußen der
Persistenz der Aufgabenbewältigung, sie lassen sich leichter ablenken
und bearbeiten die Aufgaben oberflächlicher (t(42) = 3.307, p = .001, d
= 0.70). Sie berichten weiter über eine stärkere
Stimmungsbeeinträchtigung und haben verstärkt das Gefühl etwas zu
verpassen (t(42) = 2.902, p = 0.003, d = 0.55). Sie springen häufiger
zwischen den Aufgaben und Freizeitaktivitäten hin und her und reagieren
aggressiver auf Handlungskonflikte (t(42) = 3.639, p = .001, d = 0.80).
Allerdings erleben sie entgegen der Erwartung die Entscheidung für eine
Handlungsalternative in einem Handlungskonflikt ähnlich leicht wie die
Vergleichsgruppe (t(42) = -0.759, p = .226, d = -0.14). In einer
nachträglich aufgestellten Hypothese konnte bestätigt werden, dass in
der Gruppe der aggressiven Schüler aggressive Reaktionen auf
Handlungskonflikte und der Streit mit den Eltern wegen der Hausaufgaben
zusammenhängen (r = .258, p = .047, einseitige Testung), nicht jedoch
in der Gruppe der nicht-aggressiven Schüler (r = .145, p = .354,
zweiseitige Testung). Die Ergebnisse blieben auch unter den
konservativen Bedingungen einer α-Fehler-Adjustierung nach Bonferroni
signifikant.
Schlussfolgerungen
Aggressive Schüler werden durch ihr Verhalten massiv daran gehindert,
die Hausaufgaben effektiv zu bearbeiten. Dadurch sollten der
Lernzuwachs und die Entwicklung der Kompetenz zu selbstreguliertem
Lernen geringer als in der Vergleichsgruppe ausfallen. Als mögliche
Intervention wird der Einsatz therapeutischer und pädagogischer
Trainings zur Förderung der Valenz der Hausaufgaben, vor allem aber zur
Förderung des selbstregulierten Lernens (zusf. Lauth, Grünke &
Brunstein, 2004) diskutiert. Das Lern- und Arbeitsverhalten aggressiver
Schüler sowie Verhaltensstörungen bei Schülern mit Lernstörungen
sollten darüber hinaus stärker als bisher erforscht werden. Dies könnte
sich in einer weiteren Vernetzung der Forschungsbereiche der
Förderschwerpunkte Lernen und sozial-emotionale Entwicklung in
Verbindung mit der Heilpädagogischen Psychologie zeigen, um die
Unterrichtung von Schülern mit komorbiden Lern- und Verhaltensstörungen
weiter zu professionalisieren.
Literatur
Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist (1998). Fragebogen für
Jugendliche; deutsche Bearbeitung der Youth Self-Report Form der Child
Behavior Checklist (YSR). Einführung und Anleitung zur Handauswertung.
2. Auflage mit deutschen Normen, bearbeitet von M. Döpfner, J. Plück,
S. Bölte, K. Lenz, P. Melchers & K. Heim. Köln: Arbeitsgruppe
Kinder-, Jugend- und Familiendiagnostik
Hofer, M. (2004). Schüler wollen für die Schule lernen, aber auch
anderes tun. Theorien der Lernmotivation in der Pädagogischen
Psychologie. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 18 (2), 79-92
Hofer, M. (2007). Goal conflicts and self-regulation: A new look at
pupils’ off-task behaviour in the classroom. Educational Research
Review, 2 (1), 28-38
Lauth, G. W., Grünke, M. & Brunstein, J. C. (Hrsg.) (2004).
Interventionen bei Lernstörungen. Förderung, Training und Therapie in
der Praxis. Göttingen: Hogrefe
Lauth, G. W. & Heubeck, B. G. (2006). Kompetenztraining für Eltern
sozial auffälliger Kinder (KES). Ein Präventionsprogramm. Göttingen:
Hogrefe
Linderkamp, F. & Grünke, M. (2007) (Hrsg.). Lern- und
Verhaltensstörungen. Genese, Diagnostik, Intervention. Weinheim: Beltz
PVU
Naumann, K. (2004). Anleitung von Eltern und Erziehern zur
Hausaufgabenbetreuung. In: G. W. Lauth, M. Grünke & J. C. Brunstein
(Hrsg.). Interventionen bei Lernstörungen. Förderung, Training und
Therapie in der Praxis. Göttingen: Hogrefe, 197-208
Niggli, A., Trautwein, U., Schnyder, I., Lüdtke, O. & Neumann, M.
(2007). Elterliche Unterstützung kann hilfreich sein, aber Einmischung
schadet: Familiärer Hintergrund, elterliches Hausaufgabenengagement und
Leistungsentwicklung. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 54 (1),
1-14
Schnyder, I., Niggli, A., Cathomas, R., Trautwein, U. & Lüdtke, O.
(2006). Wer lange lernt, lernt noch lange nicht viel mehr: Korrelate
der Hausaufgabenzeit im Fach Französisch und Effekte auf die
Leistungsentwicklung. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 53 (2),
107-121
Schröder, U., Wittrock, M., Rolus-Borgward, S. & Tänzer, U. (2002)
(Hrsg.). Lernbeeinträchtigung und Verhaltensstörung. Konvergenzen n
Theorie und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer
Trautwein, U. & Köller, O. (2003). The relationship between
homework and achievement – still much of a mystery. Educational
Psychology Review, 15 (2), 115-145
Cosima Teuffer
„The Lady of Shalott“. Die Rezeption in der bildenden Kunst und das
Rollenverständnis einer handarbeitenden Frau im viktorianischen England“
(Literaturarbeit, LA, Sek. I, Textilwissenschaft)
Einleitung
Das Motiv des Handarbeitens wird in der darstellenden Kunst häufig
verwendet und reicht bis in die Antike (vgl. Athena als Schutzgöttin
der Weberinnen) zurück. Nachantik werden u.a. die Jungfrau Maria und
die hl. Elisabeth handarbeitend in Apokryphen bzw. Legenden erwähnt.
Textiles Arbeiten wird zu symbolischer Tätigkeit, die die Dargestellte
als tugendhaft, keusch, häuslich und sittsam charakterisiert. Die
Darstellungen bekommen so einen adhortativen Charakter: Frauen sollen
es den Abgebildeten gleichtun.
Im viktorianischen England sollten Mädchen fürsorgliche Töchter sein
und wurden zu zukünftig sittsamen Ehefrauen erzogen. Als Zeitvertreib
im Alltag einer Dame war das Handarbeiten vielfach erwünscht: Frauen
waren dadurch ans Haus gebunden und außerdem wurde Ausdauer, Geduld,
Präzision und Gleichmäßigkeit geübt. Zudem machte es überprüfbar, ob
die Ehefrau sich während der Abwesenheit ihres Mannes nicht anderweitig
(sündhaft) beschäftigt hatte.
Ab der Mitte des XIX. Jahrhunderts begannen die ersten Frauen
„unweiblich“ gegen das traditionelle Frauenbild zu opponieren und für
ihre Rechte zu kämpfen.
Das Gedicht „The Lady of Shalott“ von Alfred Lord Tennyson war seiner
Zeit sehr populär und handelt von einer Frau, die eingesperrt in einen
Turmzimmer, dazu verdammt ist, fortwährend zu handarbeiten. Nur durch
einen Spiegel darf sie in die Außenwelt schauen. Das Spiegelbild Ritter
Lancelots verleitet sie zum direkten Blick aus dem Fenster. Handarbeit
und Spiegel zerspringen augenblicklich und sie muss sterben.
Fragestellung
Gegenstand der Arbeit ist die Analyse verschiedener Rezeptionen des
Gedichtes „The Lady of Shalott“ in der bildenden Kunst. Die
Fragestellung lautet: Wie und mit welcher Absicht änderten Maler die
vorgegebene Geschichte der Lady und wie lauten die neugebildeten
Erzählungen bzw. wie verschieben sich Intentionen.
Dabei ist es von besonderem Interesse, warum die Lady of Shalott
handarbeitet bzw. warum diese Vorgabe von den Malern des Themas
übernommen wurde. Auf der Basis des Gedichtes werden drei ausgewählte
Bilder zweier Maler und einer Malerin miteinander verglichen.
Ergebnisse
Tugendhafte und verachtenswerte Frauen werden in der Kunst
handarbeitend dargestellt: Während jedoch die tugendhafte Frau emsig
arbeitet, lässt die gefallene Frau vom Handarbeiten ab oder der
Spinnfaden reißt. Da die Handarbeit der Lady of Shalott von einer
höheren Macht strafend zerstört wird, zählt sie zu den „untugendhaften“
Frauen und speziell zu denen, die sich gegen ihr auferlegtes Schicksal
wehren und die gegen ihre Pflicht, in häuslicher Isolation
eingeschlossen zu sein, verstoßen.
Der Holzstich von Hunt spiegelt die konservative Einstellung des Malers
gegenüber Frauen deutlich wider. Er stellt die Dame als zu recht
bestraft dar und zeigt keinerlei Mitleid mit ihrem Schicksal, das sie
selbst durch ihr Pflichtversäumnis bzw. untugendhaftes Verhalten
bewirkte.
Meteyard hingegen stellt die Sehnsucht der Lady nach einem erfüllteren
Leben als legitim dar. Den Männern seiner Zeit will er vor Augen
führen, wie das Schicksal ihrer Ehefrauen aussieht, und den Umgang der
– männlich dominierten – Gesellschaft mit Frauen kritisieren.
Elizabeth Siddalls Zeichnung ist eine wesentlich subtilere Version als
die der männlichen Künstler. Sie konzentriert sich in ihrer Darstellung
auf das Fehlen von Freiheit und Selbstbestimmung.
Resümee
Im Gedicht wird die Lady of Shalott für ihren Kontakt zur Außenwelt
bestraft. Einige Maler hingegen haben die Handlung abgewandelt. So
entstehen nicht einfach Illustrationen zum vorgegebenen Thema, sondern
neue Geschichten. Die vehementen Unterschiede der Bilder untereinander
wurden von den Künstlern durch die Hinzufügung von symbolhaften
Objekten sowie das Aussparen von im Gedicht erwähnten Aspekten bewirkt.
Ob der Popularität der Lady of Shalott scheint es plausibel, dass die
Maler versuchten, durch auffällige Differenzen zwischen ihren Bildern
und dem Gedicht eigene Meinungen zum Thema auszudrücken.
Kristin Müller
„Die Motivation zur Berufswahl Psychotherapeut/in - Ein Vergleich
zwischen Schülern, Studierenden und (angehenden) Psychotherapeuten auf
der Basis des Kölner Inventars zur Berufsmotivation zur Psychotherapie
(KIBMOPS)“
(empirische Diplomarbeit, Psychologie, Klinische Psychologie)
Neben weiteren Aspekten der Berufsmotivation steht hier insbesondere
die Frage nach den Zusammenhängen zwischen den vorgefundenen
Studienbedingungen an den deutschen Universitäten (situative
Einflussgrößen) und der Motivation zur Wahl einer bestimmten
therapeutischen Orientierung im Mittelpunkt.
In der bisherigen Diskussion zur Berufswahl Psychotherapeut/in wurden
vorrangig zwei Motivkomplexe unterschieden, die sich entweder auf die
Persönlichkeit des Psychotherapeuten oder auf die situativen
Einflussfaktoren (berufsbildende Einflüsse der Universitäten und
Weiterbildungsinstitute) beziehen. Die vorliegende Studie konzentriert
sich hauptsächlich auf die Frage nach den Zusammenhängen zwischen den
vorgefundenen Studienbedingungen an den deutschen Universitäten
(situative Einflussgrößen) und der Motivation zur Wahl einer bestimmten
therapeutischen Orientierung. Methode: Die (Querschnitts-) Daten wurden
mittels einer bundesweiten, internetbasierten Fragebodenstudie erhoben
(N = 525). Ergebnisse: Die Befunde weisen auf eine im Laufe der
Ausbildung eintretende Interessenverschiebung in der präferierten
psychotherapeutischen Hauptrichtung hin. Das anfängliche Interesse an
psychodynamischen Therapieverfahren (52 % der SchülerInnen) wandelt
sich im Laufe des Studiums in eine Bevorzugung der Verhaltenstherapie
(54 % der Psychologiestudierenden). Dabei scheinen situative
Einflussfaktoren (der Universitäten) in höherem Maße die Richtungswahl
in der Psychotherapie zu bestimmen als Persönlichkeitsfaktoren. Angaben
zur Informationslage im Studium zeigten, dass sich 48 % der
Studierenden zu wenig oder einseitig über die unterschiedlichen
Therapieverfahren informiert fühlten. Diese kritische Aussage traf vor
allem für die Untergruppe der verhaltenstherapeutisch orientierten
Studierenden zu (54 %) (35 % der psychodynamisch orientierten
Studierenden). Insgesamt ergaben sich folgende signifikante
Unterschiede: 83 % der Studierenden fühlten sich bzgl. der
Verhaltenstherapie, 60 % bzgl. der Gesprächstherapie, 55 % bzgl. der
Psychoanalyse und nur 40 % bzgl. der Tiefenpsychologie ausreichend
informiert. Verhaltenstherapeutisch orientierte Studierende berichteten
(im Vgl. zu anders orientierten Studierenden) von einer ausführlicheren
Informierung hinsichtlich der Verhaltenstherapie (χ2 [3, N = 124] =
10.627 p < .05). Gefragt nach den Gründen für die Wahl eines
Therapieverfahrens nannten 94 % der Psychologiestudierenden ihre
persönliche Neigung, weitere 65 % finanzielle Kriterien und 63 % die
Wissenschaftlichkeit des Verfahrens. Signifikante Unterschiede zeigten,
dass insbesondere die wissenschaftliche Relevanz eines
Therapieverfahrens für die verhaltenstherapeutisch orientierten
Studierenden ein bedeutendes Wahlkriterium darstellte (χ2 [3, N = 133]
= 11.63, p < .01). Die tiefenpsychologisch orientierten Studierenden
nannten bevorzugt mehr subjektive Motivierungen/ persönliche
Erfahrungen (45 %) sowie Motive der wissenschaftlichen
Auseinandersetzung (45 %) und kaum sozioökonomische Motive (3%).
Verhaltenstherapeutisch orientierten Studierende erwähnten hingegen
oftmals sozioökonomische Motive (16 %) sowie durch den akademischen
Einfluss geprägte Motive (Wissenschaftlichkeit, Wirksamkeit,
therapeutisches Arbeiten) und kaum subjektive Motivierungen (16 %) /
persönliche Erfahrungen (1 %). Weiterhin ergab sich eine klare positive
Entsprechung zwischen der erfahrenen Bewertung der Therapieverfahren
durch die Lehrenden und den von den Studierenden präferierten
Therapieverfahren. 91% der Studierenden gaben an, dass ihre Dozenten
(und auch Kommilitonen) die Verhaltenstherapie am besten bewerteten,
danach folgte die Gesprächstherapie (64%), die Tiefenpsychologie (29 %)
und die Psychoanalyse (24 %). Die Bewertung der Verhaltenstherapie
durch die Lehrenden wurde von den verhaltenstherapeutisch orientierten
Studierenden deutlich positiver eingeschätzt (χ2 [3, N = 122] = 8.141,
p < .05), die Bewertung der Tiefenpsychologie und Psychoanalyse von
den psychodynamisch orientierten Studierenden (χ2 [3, N = 120] =
15.027, p < .01).
Studierende, die eine deutlich bessere Bewertung der Psychodynamischen
Verfahren an ihrer Universität erfahren hatten (60 % der
tiefenpsychologisch und nur 20 % der verhaltenstherapeutisch
orientierten Studierenden), entschieden sich eher für die Wahl eines
Psychodynamischen Verfahrens. Ein weiterer Vergleich zwischen Medizin-
und Psychologiestudierenden zeigte deutliche Unterschiede in der
Lehrstuhlbesetzung/ Bewertung der Therapieverfahren durch die
Dozierenden sowie in der präferierten Therapierichtung.
Verhaltenstherapeutisch qualifizierte Professoren sind eher im
Psychologiestudium vertreten, psychodynamisch qualifizierte eher im
Medizinstudium. Die Mehrheit der Psychologiestudierenden (91 %)
beschrieb einer deutlich bessere Bewertung der Verhaltenstherapie durch
die Lehrenden (61 % der Mediziner), während sich bei den Medizinern
eher eine (vermutete) bessere Bewertung der Psychodynamischen Verfahren
abzeichnete. Hinsichtlich der Informationsvermittlung zeigten sich
weitere
signifikante Unterschiede, die darauf hindeuteten, dass die Mediziner
zwar weniger ausführlich bezüglich der therapeutischen Verfahren
informiert werden, sich die Informationsgabe hinsichtlich der
verschiedenen therapeutischen Verfahren jedoch gleichmäßiger verteilt.
In der persönlichen Bewertung der Gesprächstherapie und
Tiefenpsychologie ließen sich keine bedeutenden Abweichungen zwischen
Medizin- und Psychologiestudierenden feststellen. Die Psychoanalyse
wurde von den Medizinstudierenden deutlich besser eingestuft, die
Verhaltenstherapie schlechter. Insgesamt zeichnete sich bei den
Medizinern eine Bevorzugung der Gesprächstherapie ab, über welche am
ausführlichsten im Studium (positiv) informiert wird.
Wissenschaftlichkeit (47 %) und finanzielle Kriterien (51 %) schienen
weitaus weniger ausschlaggebende Einflussfaktoren der Mediziner
darzustellen, deren Motive sich vorrangig auf die persönliche Neigung
(96 %) sowie die therapeutische Ergänzung der medizinischen Behandlung
bezogen.
Julia Pleuß
„Phonologische Bewusstheit und Lesefähigkeit bei
Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom - eine empirische Untersuchung“
(empirische Examensarbeit, LA Sonderpädagogik, Geistigbehindertenpädagogik)
Einleitung
Die Untersuchung befasst sich mit der phonologischen Bewusstheit und
dem Lesen bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom. Unter
phonologischer Bewusstheit wird die Fähigkeit verstanden, die
Lautstruktur der gesprochenen Sprache zu erkennen, also z. B. Silben
und Reime (phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne) oder einzelne
Laute (phonologische Bewusstheit im engeren Sinne) herauszuhören.
Der Zusammenhang zwischen phonologischer Bewusstheit und Lesefähigkeit
ist in den letzten 20 Jahren eingehend untersucht worden und konnte bei
nichtbehinderten Kindern eindeutig festgestellt werden. Dagegen wurde
ein solcher Zusammenhang bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom
bisher nur in wenigen Studien erforscht. Bei diesem Personenkreis wurde
das Vorhandensein einer phonologischen Bewusstheit sowie ein
Zusammenhang zur Lesefähigkeit in zwei Studien sogar gänzlich
angezweifelt (Cossu et al. 1993; Evans 1994). Spätere Studien, die
andere, für diese Zielgruppe besser geeignete Methoden und Aufgaben zur
Überprüfung der phonologischen Bewusstheit wählten, legen jedoch nahe,
dass eine Verbindung dieser Fähigkeiten wie bei nichtbehinderten
Kindern besteht.
Im deutschen Sprachraum existiert bisher noch keine Studie, die sich
mit diesem Thema beschäftigt. Einen Ansatz zu einer solchen
Untersuchung beinhaltet diese Examensarbeit.
Fragestellung
Ziel der Untersuchung war es, herauszufinden, ob bei Kindern und
Jugendlichen mit Down-Syndrom ein Zusammenhang zwischen der
phonologischen Bewusstheit und der Lesefähigkeit besteht. Dabei wird
versucht, Ergebnisse von Untersuchungen, die einen positiven
Zusammenhang aufzeigten, für den deutschen Sprachraum zu replizieren und
somit einen weiteren Hinweis dafür zu liefern, dass auch bei Menschen
mit Down-Syndrom phonologische Bewusstheit und Lesen eng
zusammenhängen. Dazu wurden zwei Hypothesen aufgestellt. Erstens: Es
gibt eine messbare phonologische Bewusstheit bei Kindern und
Jugendlichen mit Down-Syndrom. Zweitens: Es gibt einen positiven
Zusammenhang zwischen der phonologischen Bewusstheit und der
Lesefähigkeit bei dieser Zielgruppe.
Untersuchungsmethode
Es wurde eine quantitative Methode eingesetzt, die speziell an
Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom angepasst
wurde. Das Untersuchungsinstrumentarium besteht aus einer Batterie
hauptsächlich informeller, teilweise selbsterstellter Testverfahren,
mit denen sowohl Daten zur phonologischen Bewusstheit als auch zur
Lesefähigkeit erhoben wurden. Die Ergebnisse wurden miteinander
korreliert, um Aussagen über einen Zusammenhang treffen zu können.
Das Design der Untersuchung ist ein „within-subjects design“; es wurden
Untersuchungen innerhalb einer Gruppe von 17 Kindern und Jugendlichen
mit Down-Syndrom durchgeführt.
Ergebnisse
Bei den meisten Probanden konnte eine phonologische Bewusstheit
festgestellt werden. Außerdem bestand ein starker positiver
Zusammenhang zwischen dieser und der Lesefähigkeit, die gemessenen
Werte korrelierten signifikant bis hochsignifikant, so dass die
zugrundeliegenden Hypothesen bestätigt werden konnten. Allerdings galt
dies nur für die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne, nicht für
die im weiteren Sinne. Sowohl die phonologische Bewusstheit als auch
die Lesefähigkeit der Teilnehmer untereinander unterschieden sich
deutlich; dabei waren die besseren Leser diejenigen mit einer höher
ausgeprägten phonologischen Bewusstheit.
Resümee
Diese Untersuchung kann als weiterer Hinweis in die Richtung gelten,
die neuere englischsprachige Studien aufgezeigt haben, dass nämlich bei
Kindern mit Down-Syndrom ebenso wie bei Kindern ohne Behinderung ein
deutlicher Zusammenhang zwischen der phonologischen Bewusstheit und dem
Lesen besteht. Dies sollte sich verstärkt auf die Praxis auswirken.
Denn auch wenn dies noch nicht empirisch überprüft ist, legt der
Zusammenhang zwischen diesen Fähigkeiten nahe, dass eine Förderung der
phonologischen Bewusstheit Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom beim
Leseerwerb unterstützen kann.
Haben Menschen, die wir als „Geistig Behindert“ bezeichnen, etwas zu
sagen, das uns interessiert? „Klar haben sie!“ mögen viele zunächst
antworten. Doch wo finden Berührungspunkte statt? Im Wohnheim, in der
Werkstatt (WfbM) Menschen, die keinen direkten Bezug zum Leben von
Menschen mit einer geistigen Behinderung haben, werden nur selten einen
engeren Kontakt und damit einen Bezug zum Thema Behinderung finden,
stellte Schuchardt schon vor 20 Jahren fest (vgl. Schuchardt 1988, 11).
Mehr noch: Haben Menschen mit geistiger Behinderung überhaupt eine
Lebensgeschichte? Fritsche und Störmer verneinten 1988 diese Frage
(vgl. Fritsche, Störmer 1988, 17f). Die vorliegende Arbeit stellt die
These auf, dass diese Aussage auch heute noch zutrifft. Denn die
Lebensgeschichte besteht aus Inseln von Erinnerungen, die in der
Erzählung vor dem Vergessen bewahrt werden (vgl. Palmowski 2002, 13).
Der Zuhörer für einen Menschen mit Behinderung ist meist nur sein
Betreuer. Wie viel Zeit bleibt in Zeiten zunehmender
Personalfluktuation und Ökonomisierung in der Betreuungsarbeit für den
einzelnen Menschen?
Carmen Weiss hat ihre Lebensgeschichten zu erzählen. Nicht nur, damit
sie selbst sie nicht vergisst, sondern auch, weil der Zuhörer so viel
über die Vergangenheit eines Menschen mit geistiger Behinderung in
unserer Gesellschaft erfährt. In ihrer Geschichte lernt man die
institutionelle Situation vor über 50 Jahren und den Werdegang einer
Komplexeinrichtung am Niederrhein ebenso wie die paradigmatischen
Veränderungen in der Heil- und Sonderpädagogik hautnah kennen. Ich traf
Frau Weiss 2005, es entstanden regelmäßige Treffen, bei denen wir
gemeinsam immer tiefer in ihre Vergangenheit eintauchten. Ihre über
50-jährige Heimgeschichte war so spannend, dass sich daraus ein
Buchprojekt, gefördert von der Aktion Mensch, entwickelte. 1500 Bücher
mit dem Titel „Carmen Klosterjeck.“ wurden in nur 3 Monaten verkauft,
Lesungen fanden statt.
Die begleitende Diplomarbeit beschäftigt sich einerseits mit der Pädagogischen
Biografiearbeit in der Geistigbehindertenpädagogik im Kontext der
praktischen Erfahrungen durch die Arbeit mit Carmen Weiss und
andererseits mit dem Stiefkind sozialer Einrichtungen: Eine
professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Wie stellt sich eine
Behinderteneinrichtung nach Außen dar? Was interessiert die
Gesellschaft und wie kann man sie für das Thema Behinderung
interessieren? Jubiläumsheftchen und Sommerfeste können die breite
Öffentlichkeit nicht erreichen. Die, um die es in der Institution
eigentlich geht, werden selten in den Mittelpunkt gestellt.
Öffentlichkeitsarbeit muss zentraler Gegenstand Heilpädagogischer
Arbeit werden: Studien belegen, dass nur wenig Integration durch den
Aufbau gemeindenaher Wohnangebote stattgefunden hat (vgl. Klauß 1996,
62). Mit dem Ziel der Inklusion muss Öffentlichkeitsarbeit neue Wege
gehen, denn der, um den es in der Einrichtung geht, hat viel zu sagen
und die Medien interessieren sich für ihn, für sein Schicksal, für sein
Leben (vgl. Sack, Schlummer 1999, 23). Neue Wege einer institutionellen
Öffentlichkeitsarbeit werden in der vorliegenden Diplomarbeit mit
Vorreitern diskutiert (z.B. Katja de Braganca, Ohrenkuss Bonn). Es wird
ein neues Konzept institutiografischer Arbeit aufgestellt und anhand
eigener Erfahrungen mit dem Buchprojekt um Carmen Weiss erläutert. Mit
dem „Klosterjeck“ hat sich die Öffentlichkeitsarbeit in der
Komplexeinrichtung (ein ehemaliges Kloster), in der Frau Weiss lebt,
etabliert: Carmen Klosterjeck war die bisher erfolgreichste PR-Kampagne
dieser Einrichtung. Frau Weiss berichtet aus ihrer langen
Heimgeschichte und bewegt den Leser, indem sie Dinge auf ihre ganz
eigene Art auf den Punkt bringt: „Wenn du mal als Bekloppter
dargestellt wirst, dann weißt du, wovon ich rede. Die denken sich
„blablabla“, du hättest nur Müll zu verzapfen. Früher nannten sie mich
den Idioten, Jecken. Und auch heute noch kriegst du das Gefühl nicht
los, wenn du durchs Dorf gehst. Neulich sagte man mir in der
Wirtschaft, ich solle bitte rausgehen: nur für Männer geöffnet. So was
schon mal gehört? Nur für Männer! Ich sagte dem Wirt: „Oder einfach nur
nicht für uns Klosterjecke geöffnet?!“ Die Entschuldigungen danach wie
„so war das nicht gemeint!“ konnte der sich in den Hintern stecken! Ich
sage dir eines: Lerne früh die Menschen kennen, denn sie sind
veränderlich. Die sich heute Freunde nennen, reden morgen über dich.“
Literatur
Fritsche, I., Störmer, N.: Sie haben alle eine Akte, aber keine Geschichte. In: Zur Orientierung. 12/1988, S. 17-18
Klauß, T.: Ist Integration leichter geworden? Zur Veränderung von
Einstellungen für die Realisierung von Leitideen. In: Geistige
Behinderung, 1/35, 1996. S. 56-68
Palmowski, W., Heuwinkel, M.: Normal bin ich nicht behindert.
Wirklichkeitskonstruktionen bei Menschen, die behindert werden. Verlag
Modernes Lernen, Dortmund. 2002
Sack, R., Schlummer, W.: Mut zur Lücke. Wenn die Realität den Takt
bestimmt – Öffentlichkeitsarbeit in Baden-Württemberg. In:
Verbandsdienst der Lebenshilfe, Heft 2/1999. S. 22-25
Schuchardt, E.: Jede Krise ist ein neuer Anfang. Aus Lebensgeschichten lernen. In: Zur Orientierung. 12/1988, S. 10-12
Weiss, C.: Carmen Klosterjeck. Gollenstede-Verlag, Heinsberg. 2005
Judith Dorniak
„Sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie und Psychiatrie“
(empirische Diplomarbeit, Psychologie, Klinische Psychologie)
Vor dem Hintergrund des Inkrafttretens von Paragraph 174c StGB, der
TherapeutInnen den sexuellen Kontakt zu ihren PatientInnen bei Strafe
untersagt, wurde eine Nachfolgeuntersuchung der Studie von
Becker-Fischer und Fischer (1997) durchgeführt. Gegenstand der
Untersuchung waren die situativen Umstände sexueller Übergriffe in
Psychotherapie und Psychiatrie (SÜPP), Risikovariablen der
TherapeutInnen und PatientInnen, resultierende Folgen für die
PatientInnen sowie der rechtliche Umgang mit der Thematik. Anhand einer
Onlineversion des Fragebogens zu sexuellen Kontakten in Psychotherapie
und Psychiatrie (SKPP; Becker-Fischer, Fischer & Jerouschek) wurden
betroffene PatientInnen zu ihren diesbezüglichen Erfahrungen befragt.
Die Angaben von N = 77 ProbandInnen wurden sowohl quantitativ als auch
qualitativ ausgewertet. Die überwiegende Mehrheit der
UntersuchungsteilnehmerInnen berichtete von einer Verschlechterung
ihres Befindens als Folge des SÜPP. Die geschilderten Folgebeschwerden
bewegen sich ohne Ausnahme im Rahmen des professionalen
Missbrauchstraumas (PMT). Die von Becker-Fischer und Fischer
beschriebenen stereotypen Interaktionsmuster zwischen TherapeutIn und
PatientIn (Skripts) können bestätigt werden. Die Mehrheit der
ProbandInnen unternahm keinen der möglichen rechtlichen Schritte, es
kam nur in drei Fällen zu einem förmlichen Verfahren. Aus den
Ergebnissen wird der Schluss gezogen, dass SÜPP für die betroffenen
PatientInnen höchst schädliche Konsequenzen hat, die TherapeutInnen
jedoch trotz der veränderten Gesetzeslage nicht häufiger zur
Rechenschaft gezogen werden. Vor diesem Hintergrund erscheint eine
verstärkte Aufklärung der betroffenen PatientInnen über ihre
gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten sinnvoll. Auch müssen Überlegungen
bezüglich des Schutzes der Betroffenen vor einer möglichen weiteren
Traumatisierung im Kontext der Verfahrensdurchführung angestellt werden.
Lars Maus
„Der Objektivitätsbegriff bei Ranke und Droysen“
(Literaturarbeit, LA, Geschichte)
Einleitung
Heute wird die Pluralität von Wahrheit kaum mehr bestritten, doch ist
dies letztlich eine recht junge Erkenntnis. In der Antike wie auch im
Mittelalter ist ein korrespondenztheoretischer Wahrheitsbegriff
vorherrschend. Objektivität bezeichnet somit eine absolute
Übereinstimmung mit dem Gegenstand. Eine radikale Schwächung erfährt
diese Annahme durch Kants Kritik der reinen Vernunft und Hegels
dialektischen Erfahrungsbegriff. In diesem Kontext ist die Entstehung
der Geschichtswissenschaft des frühen 19. Jahrhunderts und deren Lösung
von der Philosophie zu verstehen. Geschichte ist nun nicht mehr die
reine Darstellung, sondern wird nun durchaus kritisch beurteilt. Zwei
zentrale Vertreter der Geschichtswissenschaft dieser Zeit sind Leopold
von Ranke und Johann Gustav Droysen. Sie werden in der postmodernen
Literatur meist als Kontrahenten begriffen. Im Fokus der Arbeit steht
dabei das Verständnis der Objektivität beider Protagonisten. Fraglich
ist, ob die Annahme des Gegensatzes bezüglich des Begriffes der
Objektivität aufrecht erhalten bleiben kann. Die Verständnisse beider
Historiker werden in einer exegetisch-kritischen Analyse verglichen.
Zunächst wird der Objektivitätsbegriff von Ranke aufgearbeitet und
folgend Droysens Verständnis direkt gegenübergestellt. Diese
kontrastive Interpretation erfolgt (soweit möglich) ohne Wertung und
beruht auf dem Grundverständnis der "wohlwollenden Interpretation".
Arbeitsinhalte
Geschichtswissenschaftliches Arbeiten gründet sich nach Ranke auf
Quellen. Je näher diese am historischen Ereignis sind, desto
authentischer wird die Geschichtsschreibung, doch ist zugleich keine
Vollständigkeit der Darstellung möglich. Geschichte ist in durch den
Historiker konstruierte Epochen gegliedert, die jeweils ihren Wert
aufweisen und nicht mit den Normen einer anderen Zeit bewertet werden
dürfen. Somit muss sich auch der Historiker von den Werten seiner
Gegenwart lösen und Geschichte möglichst vorurteilsfrei begreifen.
Durch die Arbeit des Historikers bei der Verknüpfung der Epochen
miteinander entsteht ein objektiver Zusammenhang, eine Kontinuität von
Ursache und Wirkung. Die geforderte Unparteilichkeit benötigt zugleich
die Ästhetik der Darstellung, denn erst der Historiker macht
Vergangenheit zur Geschichte. Der Anspruch der Objektivität ist aber
ein Ideal, dass nicht erreicht werden kann. Somit ist Ranke nicht, wie
häufig geschehen, als radikaler Objektivist oder naiver Realist zu
verstehen. Droysen greift die Quellen als Ansatz der
Geschichtsschreibung auf, fasst deren Begriff weiter und formuliert in
seiner Historik ein Werk als methodische Arbeitsanleitung. Gleich ist
ihm mit Ranke, dass Geschichte erst durch die Arbeit des Historikers
entsteht. Ein Unterschied im Verständnis zeigt sich in der Darstellung.
Entgegen Rankes objektiven Bestrebungen zwecks Unparteilichkeit fordert
Droysen das politische, religiöse und parteiliche Urteil des
Historikers zur Wirkung in der Gegenwart. Geschichte ist für Droysen
das Legitimationsmedium der werdenden deutschen Nation, seine Intention
ist Freiheit.
Grundlegende Differenzen bestehen im Verständnis von Geschichte selbst.
Primat der Erkenntnis ist bei Ranke das annähernd objektive Faktum aus
dem Geschichte wird, bei Droysen die interpretativ-subjektive Idee, die
sich zirkulär um etwas bewegt. Deswegen kann dessen Verständnis nur
rein subjektiv sein. Die Richtigkeit einer historischen Aussage ergibt
sich somit nicht aus Mehrzahl der Quellen, sondern über die Art der
Auffassung. Wahrheit wird nun plural begriffen. Geschichte wird bei
Droysen im kontinuierlichem Fortlauf ausschließlich dialektisch
verstanden, womit der rankesche objektive Zusammenhang der Historie
nicht mehr bestehen kann.
Ergebnis
Was das theoretische Verständnis von Geschichte betrifft, so ist dies
bezüglich der Objektivität bei beiden Historikern different. Ranke
postuliert ein Ideal, der Historiker habe sich der Objektivität
asymptotisch anzunähern. Zugleich ist er sich aber der Unmöglichkeit
der endlichen Verwirklichung bewusst. Droysen hingegen begreift
Historie zwecks Legitimation gegenwärtiger Zustände,
Geschichtsschreibung wird somit intentional. Bezüglich der
geschichtswissenschaftlichen Methodik ist die Differenz nicht aufrecht
zu erhalten. Vielmehr wird hier eine Genese deutlich. Ranke begründet
methodische Kriterien, die letztlich von Droysen aufgegriffen und
ausgearbeitet werden.
Anna Conrads
Bindungsstörungen im Kindesalter - Ein Beitrag zur Theorie und Praxis von Diagnose und Therapie
(empirische Untersuchung, Heilpädagogik, Heilpädagogische Psychologie)
Theoretischer und empirischer Hintergrund
Bindungsstörungen sind in der ICD-10 unter Verhaltens- und emotionale
Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F9), genauer unter
Störungen sozialer Funktionen (F94), erfasst. Aktuell wird zwischen
„Reaktiver Bindungsstörung“ (F94.1) und „Bindungsstörung mit
Enthemmung“ (F94.2) unterschieden. Beide Formen werden nach Brisch
(2002) auf tiefgreifende Veränderung und Deformierung in der
Bindungsentwicklung zurückgeführt und werden im Zusammenhang von
frühkindlichen Traumata und Erlebnissen von Misshandlung, sexueller
Gewalt, Vernachlässigung und ständig wechselnden Bezugspersonensystem
genannt.
Bindungsstörungen sind eine erst in den letzten Jahrzehnten eingeführte
Kategorie, über die – im Vergleich zu den klassischen Bindungsmustern
(sicher, unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend und desorganisiert) –
bisher wenig (empirisches) Wissen vorliegt. Die vorliegenden Leitlinien
und fachliterarischen Annahmen beruhen vermehrt auf Einzelfallanalysen
und Hypothesen. Mit Hilfe von leitfadengestützten Experteninterviews
wird der Frage nachgegangen, wie diese Störungen in der Praxis konkret
erkannt und behandelt und ob bzw. wie sie differentialdiagnostisch von
den klassischen Bindungsmustern (v. a. der Bindungsdesorganisation)
abgegrenzt werden.
Fragestellung
Wie werden Bindungsstörungen im Kindesalter in der Praxis definiert,
diagnostiziert und behandelt? Inwieweit stimmt das „Störungsbild“ von
Experten mit der bisherigen theoretischen Konzeption überein? Welche
Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich in den einzelnen Aussagen
entdecken?
Untersuchungsmethode
Zur Klärung der Forschungsleitfrage wurden 7 leitfadengestützte
Experteninterviews (Meuser & Nagel, 1991) zum Thema
„Bindungsstörungen im Kindesalter“ durchgeführt. Im Gespräch wurden die
tatsächlich bedeutsamen Merkmale der Störungen und die Möglichkeiten
der Diagnostik und Therapie herausgefiltert und die Hypothesen geprüft.
Zur Auswertung der Daten wurden die Vorschläge von Lamnek und Mayring ,
zur qualitativen Inhaltsanalyse berücksichtigt. Demnach wurden alle
Interviews streng methodisch kontrolliert und schrittweise analysiert.
Die Methode umfasst folgende Schritte: Zusammenfassung der Interviews,
Kategorienentwicklung und Explikation.
Die Interviews wurden nach den folgenden hypothesenbezogenen Kategorien ausgewertet:
- Definition und Abgrenzung einer desorganisierten Bindung von Bindungsstörung
(Kategorie: Beschreibung)
Kriterienorientierung für die Diagnose einer Bindungsstörung und Modifikations-
vorschläge (Kategorie: Orientierung)
Verwendete diagnostische Verfahren bei Bindungsstörungen (Kategorie:
Beurteilung)
- Interventionsmöglichkeiten (Kategorie: Behandlung)
Ergebnisse
Insgesamt weisen die Ergebnisse der Untersuchung auf eine
uneinheitliche Definition sowie ein heterogenes praktisches Vorgehen
bezüglich Diagnostik und Behandlung kindlicher Bindungsstörungen hin.
Die Heterogenität der Aussagen spiegelt auch die bisherige Erkenntnis
aus der Literaturarbeit wider: die vergleichsweise dürftige Datenlage
zum Thema kindliche Bindungsstörungen wirft viele ungeklärte Fragen
auf, die selbst Experten derzeit noch nicht schlüssig beantworten
können. Die vorliegende Untersuchung vermittelt daher vor allem einen
Aufriss der praktischen Vorgehensweise bei der Diagnostik und
Behandlung kindlicher Bindungsstörungen. Die Schwierigkeiten bzw.
Unsicherheiten bzgl. Diagnose und Therapie sind in erster Linie auf
geringe Forschungsaktivitäten zurückzuführen. Denn seit der 1980
erfolgten Etablierung der Bindungsstörung in das Klassifikationssystem
ICD-9 scheint es keine weiteren Bemühungen zur einheitlichen Definition
und Diagnostik mehr gegeben zu haben. Darüber hinaus mangelt es an
etablierten klinischen Richtlinien für eine effektive Behandlung, was
mit dem Fehlen spezifischer (test)diagnostischer Verfahren einhergeht.
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung machen den erheblichen
Klärungsbedarf in dieser Hinsicht deutlich.
Impressum
Veranstalter:
„NachwuchsforscherInnen gesucht“
Pia Bienstein
Isabel Lindner
Dorothee Schlebrowski
Verena Wein
Beiträge:
ReferentInnen
Homepagegestaltung:
Helge Düselder
Fotos mit Albert Einstein:
Anna von Boeselager
Helge Düselder
Druck:
Hausdruckerei der Humanwissenschaftlichen Fakultät
Hausdruckerei des Hauptgebäudes
Regionales Rechenzentrum der Universität zu Köln
Danksagung:
Wir möchten uns ganz herzlich bei all denjenigen bedanken, die uns
dabei unterstützt haben, diesen Präsentationstag zu realisieren. Unser
Dank gilt insbesondere dem Dekan, Prof. Dr. Thomas Kaul, dem Dekanat
sowie der Studentischen Interessenvertretung (StIv) der
Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln für die
organisatorische und finanzielle Unterstützung. Danken möchten wir auch
Werner Gierse und seinem Team für die schnelle und engagierte
Unterstützung bei Homepageangelegenheiten. Helge Düselder für die
tatkräftige Unterstützung und Beratung für das Design und Layout der
Flyer und Aktualisierung der Homepage. Danken möchten wir noch Anna von
Boeselager und Helge Düselder für die zur Verfügungstellung der Fotos.
Gedankt sei auch den DozentInnen, die uns den Kontakt zu den
Vortragenden vermittelt haben, sowie Werner Schlummer, der im Rahmen
des Newsletters mehrfach auf den Präsentationstag aufmerksam gemacht
hat. Besonders herzlich möchten wir uns auch bei den Vortragenden
selbst bedanken, die durch ihre Beiträge diesen Präsentationstag
möglich machen.