Arbeit und Behinderung. Praktiken der Subjektivierung in Werkstätten und Inklusionsbetrieben

Doktorandin: Sarah Karim


(Erwerbs-)Arbeit beeinflusst in der (post-)modernen Gesellschaft wie kaum ein anderes soziales Feld die Subjektivierungsweisen des Menschen. Sie dient nicht mehr nur der Sicherung der materiellen Lebensgrundlage, sondern soll auch Sinn stiften. Letztere Möglichkeit, so wird durch Rhetoriken der Aktivierung und Optimierung suggeriert, steht im Prinzip jedem und jeder offen.

Vergleicht man aber die Arbeitsrealität von Menschen mit und ohne Behinderungen, wird schnell klar: Behinderte Menschen sind im Gegensatz zu nichtbehinderten Menschen häufiger erwerbslos, in prekären Arbeitsverhältnissen oder unterhalb ihres Ausbildungsniveaus beschäftigt. Vor allem Menschen mit Lernschwierigkeiten (die früher als ‚geistig behindert‘ bezeichnet wurden) sind zumeist nicht auf dem regulären Arbeitsmarkt, sondern in Sonderbeschäftigungsverhältnissen tätig. Immer noch erfolgt ihre Beschäftigung vorzugsweise in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Die in den letzten Jahren entstandenen Integrationsprojekte bieten jedoch vermehrt arbeitsmarktnähere Alternativen an, in denen behinderte und nichtbehinderte Menschen gemeinsam arbeiten. Einen weiteren, wichtigen Impuls zum Ausbau der Arbeitsmarktinklusion liefert die Behindertenrechtskonvention.  

Ziel der dispositivanalytischen Studie ist herauszufinden, wie die besonderen Formen von Arbeit und Beschäftigung – in Werkstätten und in den Integrationsprojekten als deren modernisierte, flexibel-normalistische Variante – die Subjektivierungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen beeinflussen. Ob sich die Subjektivierungsweisen entlang der verschiedenen Arbeitssettings unterscheiden, bildet eine Forschungsfrage dieser Arbeit. Angelehnt an die kulturwissenschaftliche Subjektanalyse nach Andreas Reckwitz werden im „Quadrat der Kulturanalyse“ (Reckwitz 2016, 23) sowohl Diskurse als auch Praktiken und Artefakte untersucht, welche die Subjektivierung durch Arbeit prägen. Methodisch handelt es sich um eine Kombination aus der Interdiskursanalyse nach Jürgen Link, mit deren Hilfe relevante Subjektivierungsformen (re-)konstruiert werden, und der ethnografischen Beobachtung von Arbeitssituationen, um diejenigen sozialen Praktiken, Interaktionen, Strukturen und Artefakte herauszuarbeiten, welche für die tatsächliche Aneignung der diskursiven Praktiken durch die arbeitenden Subjekte konstitutiv sind. Ziel des Promotionsprojekts ist die dispositivanalytisch informierte Rekonstruktion der unterschiedlichen Subjektivierungsweisen von Beschäftigten in Integrationsprojekten und WfbM.

Abgeschlossen im Juni 2020.

Foucault, Michel. (1973). Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main (Suhrkamp).

Foucault, Michel. (1977). Sexualität und Wahrheit I: Der Wille zum Wissen. Frankfurt am Main (Suhrkamp).

Reckwitz, Andreas. (2010). Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne. Studienausgabe. Göttingen (Velbrück Wissenschaft).

Reckwitz, Andreas. (2016). Kreativität und soziale Praxis. Studien zur Sozial- und Gesellschaftsanalyse. Bielefeld (transcript).

Waldschmidt, Anne. (2003). Ist behindert sein normal? Behinderung als flexibelnormalistisches Dispositiv. In: Cloerkes, Günther (Hrsg.). Wie man behindert wird. Texte zur Konstruktion einer sozialen Rolle und zur Lebenssituation betroffener Menschen. Heidelberg (Edition S). S. 83-101.

Waldschmidt, Anne. (2011). Symbolische Gewalt, Normalisierungsdispositiv und/oder Stigma? Soziologie der Behinderung im Anschluss an Goffman, Foucault und Bourdieu; in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Themenheft „Symbolische Gewalt“, hrsg. von Stephan Moebius und Angelika Wetterer, 36. Jg., H. 4, S. 89-106.