Perspektiven auf die Grundschulempfehlung - die Lehrkraftsicht (PeGeL)
Projektleitung
Jun.-Prof. Dr. Katrin Lintorf (Universität zu Köln)
Dr. Sina Schürer (Westfälische Wilhelms-Universität, Münster)
Projektdauer
Seit 02/21 - fortlaufend
Projektbeschreibung
Zielsetzung
Die Schulformentscheidung am Übergang zur Sekundarstufe I ist aus zwei Gründen eine wichtige Entscheidung für den weiteren Bildungsweg eines Kindes. Zum einen wirken die Schulformen der Sekundarstufe I aufgrund ihres unterschiedlichen Anregungsgehalts als differenzielle Entwicklungsmilieus (Baumert, Stanat & Watermann, 2006; Neumann et al., 2007). Zum anderen – auch wenn das deutsche Schulsystem Schulformwechsel in der Sekundarstufe I explizit ermöglicht – finden diese in der Praxis selten statt, wobei Wechsel zu einer niedrigeren Schulform dominieren (Bellenberg, 2012). Der Übergang zur weiterführenden Schule gilt daher als „Gelenkstelle im deutschen Bildungssystem“ (Arnold, Bos, Richert & Stubbe, 2007, S. 273; Maaz, Hausen, McElvany & Baumert, 2006).
Lehrkräfte sprechen mit dem Halbjahreszeugnis der Klasse 4 eine Schulformempfehlung aus und tragen damit maßgeblich zum Entscheidungsprozess der Familien bei. Zwar erfolgt in der Mehrheit der deutschen Bundesländer die Schulformwahl nach dem Elternwillen (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland [KMK], 2015), doch die Übergangsempfehlung hat eine wichtige Orientierungsfunktion für Eltern (Klinge, 2016) und gilt unabhängig von ihrer Verbindlichkeit als zentrale Determinante der Schulformwahl (Baeriswyl, Wandeler, Trautwein & Oswald, 2006).
Wie Lehrkräfte bei der Formation ihrer Empfehlung vorgehen sollen, ist rechtlich nur grob geregelt (Bellenberg & Tillmann, 2011; KMK, 2015). Aus empirischer Sicht sind vor allem schulische Leistungen für die Empfehlung prädiktiv. Entgegen den rechtlichen Vorgaben haben aber auch leistungsferne Merkmale, v. a. der soziale Hintergrund eine nicht zu vernachlässigende Vorhersagekraft (zusf. Glock, Krolak-Schwerdt, Klapproth & Böhmer, 2013) was Lehrkräften den Vorwurf sozialer Ungerechtigkeit einbringt (van Ophuysen, Riek & Dietz, 2015).
Diese Befunde stammen größtenteils aus Untersuchungen, in denen empfehlungsrelevante Kriterien auf statistischem Wege ermittelt wurden, d. h. Auskünfte von Schülerinnen und Schülern sowie ihrer Eltern wurden mit der lehrkraftseitigen Empfehlung in Beziehung gesetzt, um so die Bedeutsamkeit verschiedener, von den Forschenden festgelegten Kriterien der Schulformempfehlung zu ermitteln. Nur in seltenen Fällen wurden empfehlungsrelevante Kriterien bei den Lehrkräften selbst erfragt (z. B. Diebig, 2016; Pohlmann, 2009). Die wenigen Studien belegen, dass die Beweggründe für oder gegen eine bestimmte Empfehlung deutlich differenzierter sind als die einschlägigen Studien zu den Kriterien der Schulformempfehlung vermuten lassen. Auch lassen sich verschiedene Gruppen von Lehrkräften mit unterschiedlichen Argumentationsmuster ausmachen.
Dies greifen wir in einer quantitativen Untersuchung auf. Uns interessiert, welche Informationen aus Sicht der Lehrkräfte bei der Formation der Übergangsempfehlung relevant sind. Neben empirisch bewährten Kriterien erfragen wir dabei auch verschiedene Ansichten von Lehrkräften (z. B. Konsequenzen einer richtigen bzw. falschen Schulformwahl, Entwicklungsmöglichkeiten während der Zeit an der weiterführenden Schule).
Methode
Wir führen eine Online‐Befragung mit Lehrkräften und Lehrkräften im Vorbereitungsdienst an Grundschulen in NRW durch. Angestrebt wird eine Stichprobe von gut 200 Lehrkräften. In dem Fragebogen bitten wir die teilnehmenden Lehrkräfte nach einigen demographischen Angaben um eine Schulformempfehlung für einen fiktiven Schülerfall. Abschließend erfragen wir die Sicht der teilnehmenden Lehrkräfte auf das gegliederte Schulwesen und die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen während der Zeit an der weiterführenden Schule.
Literatur
Arnold, K.‑H., Bos, W., Richert, P. & Stubbe, T. (2007). Schullaufbahnpräferenzen am Ende der vierten Klassenstufe. In W. Bos, S. Hornberg, K.-H. Arnold, G. Faust, L. Fried, E.-M. Lankes et al. (Hrsg.), IGLU 2006. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich (S. 271–297). Münster: Waxmann.
Baeriswyl, F., Wandeler, C., Trautwein, U. & Oswald, K. (2006). Leistungstest, Offenheit von Bildungsgängen und obligatorische Beratung der Eltern. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(3), 373–392. https://doi.org/10.1007/s11618-006-0056-6
Baumert, J., Stanat, P. & Watermann, R. (2006). Schulstruktur und die Entstehung differenzieller Lern- und Entwicklungsmilieus. In J. Baumert, P. Stanat & R. Watermann (Hrsg.), Herkunftsbedingte Disparitäten im Bildungswesen: Differenzielle Bildungsprozesse und Probleme der Verteilungsgerechtigkeit. Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000 (S. 95–188). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Bellenberg, G. (2012). Schulformwechsel in Deutschland. Durchlässigkeit und Selektion in den 16 Schulsystemen der Bundesländer innerhalb der Sekundarstufe I. Zugriff am 13.09.2021. Verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/GP_Schulformwechsel_in_Deutschland.pdf
Bellenberg, G. & Tillmann, K.‑J. (2011). Schulnoten ‐ Elternrecht – Probeunterricht. Bundesländervergleich: Übergänge nach der Grundschule. Friedrich Jahresheft, 24, 61–65.
Diebig, K. (2016). Die Relevanz der Kriterien für die Übergangsempfehlung. Ein Vergleich unterschiedlicher Erhebungsmethoden. Dissertation. Westfälische Wilhelms-Universität, Münster. Zugriff am 16.02.2020. Verfügbar unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:6-88159636088
Glock, S., Krolak-Schwerdt, S., Klapproth, F. & Böhmer, M. (2013). Prädiktoren der Schullaufbahnempfehlung für die Schulzweige des Sekundarbereichs I.Pädagogische Rundschau, 67(3), 329–347.
Klinge, D. (2016). Die elterliche Übergangsentscheidung nach der Grundschule [The parental transition decision after elementary school]. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14351-0
Maaz, K., Hausen, C., McElvany, N. & Baumert, J. (2006). Stichwort: Übergänge im Bildungssystem. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(3), 299–327. https://doi.org/10.1007/s11618-006-0053-9
Neumann, M., Schnyder, I., Trautwein, U., Niggli, A., Lüdtke, O. & Cathomas, R. (2007). Schulformen als differenzielle Lernmilieus. Institutionelle und kompositionelle Effekte auf die Leistungsentwicklung im Fach Französisch. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 10(3), 399–420. https://doi.org/10.1007/s11618-007-0043-6
Pohlmann, S. (2009). Der Übergang am Ende der Grundschulzeit. Zur Formation der Übergangsempfehlung aus der Sicht der Lehrkräfte. Münster: Waxmann.
Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. (2015). Übergang von der Grundschule in Schulen des Sekundarbereichs I und Förderung, Beobachtung und Orientierung in den Jahrgangsstufen 5 und 6 (sog. Orientierungsstufe). Zugriff am 07.02.2020. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_02_19-Uebergang_Grundschule-SI-Orientierungsstufe.pdf
van Ophuysen, S., Riek, K. & Dietz, S.‑L. (2015). Soziale Gerechtigkeit am Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule – die Perspektive der Lehrkräfte. In V. Manitius, B. Hermstein, N. Berkemeyer & W. Bos (Hrsg.), Zur Gerechtigkeit von Schule. Theorien, Konzepte, Analysen (S. 332–351). Münster: Waxmann.
Tagungsbeuträge
Schürer, S. & Lintorf, K. (eingereicht). Lehrkraftüberzeugungen zu psychosozialen und bildungsbiographischen Konsequenzen des Grundschulübergangs – Präsentation eines Erhebungsinstruments. Einzelbeitrag bei der 32. Jahrestagung der DGfE-Kommission Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe, Saarbrücken.
Lintorf, K. & Schürer, S. (eingereicht). Prädiktoren der Schulformempfehlung: Die Rolle von Lehrkraftüberzeugungen. Einzelbeitrag bei der Tagung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung, Osnabrück.
Betreute Abschlussarbeiten
Ardic, B. (2022). Zusammenhang von Überzeugungen der Lehrkräfte zur Veränderbarkeit der Intelligenz mit der Übergangsempfehlung. Bachelorarbeit. Universität zu Köln.
Bramante, S. (2024). Kriterien der Übergangsempfehlung: Die Rolle von Lehrkraftüberzeugungen über die psychosozialen Konsequenzen des Besuchs verschiedener Schulformen. Bachelorarbeit. Universität zu Köln.
Haag, L. (2022). Überzeugungen von Grundschullehrkräften zur Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems. Der Zusammenhang mit der Schulformempfehlung. Bachelorarbeit. Universität zu Köln.
Hedderich, S. (2022). Der Einfluss von Lehrkraftüberzeugungen zur Veränderbarkeit der Intelligenz auf die Grundschulempfehlung – eine quantitative Erhebung im Rahmen der PeGeL-Studie. Masterarbeit. Westfälische Wilhelms-Universität, Münster.
Landgraf, A. (2022). Überzeugungen von Grundschullehrkräften zu den bildungsbiografischen Konsequenzen des Besuchs eines Gymnasiums. Der Zusammenhang mit der Schulformempfehlung. Bachelorarbeit. Universität zu Köln.
Meermeier, C. (2022). Zusammenhang zwischen Lehrkraftüberzeugungen zur Veränderbarkeit des sozialen Status und der Grundschulempfehlung – eine quantitative Studie. Masterarbeit. Westfälische Wilhelms-Universität, Münster.
Schlieker, H. (2022). Zusammenhang zwischen Lehrkraftüberzeugungen zur Durchlässigkeit des Schulsystems und der Grundschulempfehlung – eine quantitative Studie. Masterarbeit. Westfälische Wilhelms-Universität, Münster.
von Müller, K. (2023). Der Zusammenhang zwischen Lehrkraftüberzeugungen zur Veränderbarkeit des sozialen Status und der Übergangsempfehlung. Eine quantitative Studie. Masterarbeit. Universität Münster.