RaumQualitäten –
Eine Topographie des pädagogischen Raums in Kindertageseinrichtungen
Mit dem Funktionswandel von Kindertagesstätten zu expliziten Bildungseinrichtungen haben auch deren Räume eine konzeptionell weitreichende Transformation erfahren. Anregende Lernumgebungen gelten als notwendige Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige Bildung und Betreuung. Demgegenüber gibt es nur wenig empirische Erkenntnisse zur tatsächlichen Wirkung aktueller frühpädagogischer Räume auf Kinder und zu konkreten Prozessen ihrer Raumaneignung (vgl. Schneider, 2015).
Ziel und Fragestellung des Projekts
Das Verbundprojekt von Prof. Dr. Ursula Stenger, Universität zu Köln, und Prof. Dr. Claus Stieve, Technische Hochschule Köln, hat eine genaue Bestimmung der Qualitäten des anregenden Raumes zum Ziel. In Verbindung ethnographischer Feldforschung und phänomenologischer Analyse wird gefragt: Wie werden geschaffene räumliche Strukturen wirksam? Was tun die Kinder in pädagogischen Räumen mit Anregungspotentialen von Räumen und Dingen? Welche differenten Bildungs- und Lernprozesse bringen sie hervor oder behindern sie?
Methodisches Vorgehen
Gewählt werden phänomenologische Perspektiven, weil sie den „gelebten“ Raum und die mit ihm verbundenen Wahrnehmungsprozesse (vgl. Stenger, 2011), Handlungsweisen, Aufforderungscharaktere (vgl. Stieve, 2008) sowie seine Ereignishaftigkeit in den Mittelpunkt rücken. Das Projekt verknüpft ein deskriptiv-analytisches Vorgehen mit Methoden der Ethnographie, der Topologie sowie der Bild- und Gegenstandsanalyse.
In sechs Kindertageseinrichtungen, die verschiedene Raumkonzepte präferieren, wird, u.a. angeregt durch die klassische Lebensraumstudie Muchows (1935/1998), in mehreren Feldphasen zu verschiedenen Schwerpunkten eine dichte Beschreibung pädagogischer Räume entwickelt:
1. Perspektive: ‚Sachlicher Raum‘
Arbeitsziel: Deskription der räumlich-materiellen Gliederung der Kindertageseinrichtungen.
Methode: Grundrisse-, Detailaufzeichnungen, systematisch erstellte Fotografien, Materialaufzählungen etc.
2. Perspektive: ‚Intendierter und organisierter Raum‘
Arbeitsziel: Erforschung der Intentionen pädagogischer Qualität, die den jeweiligen Raumgestaltungen zugrunde liegen.
Methode: Dokumentenanalysen pädagogischer Konzepte; Raumführungen durch Erziehende in den jeweiligen Einrichtungen; Analyse von Fotographien.
3. Perspektive: ‚Gelebter Raum‘
Arbeitsziel: Mikroanalyse der „Anregungsqualitäten“ des Raumes im konkreten praktischen Vollzug: Wie strukturiert und welche ereignishafte Dynamik gewinnt der Raum für Kinder? In welcher konkreten Weise vermittelt sich eine Beziehung zwischen Raum, Kindern und Erziehenden?
Methode: Teilnehmende Beobachtung; Videographien.
4. Perspektive: ‚Bildender Raum‘
Arbeitsziel: Erforschung von Qualitäten einer „Bildung“ durch den Raum und seine Materialität: Wie wirkt der Raum als „anregende Lernumgebung“ auf Lern- und Bildungsprozesse?
Methode: Teilnehmende Beobachtung; Videographien.
Die Auswertung erfolgt im Sinne phänomenologischer Analyse (vgl. u.a. Brinkmann, 2015; Stieve, 2010).
Relevanz für Grundlagenforschung und Praxis
Grundlagentheoretisch will das Vorhaben Erkenntnisse zur anregenden Wirkung und Bildungsrelevanz frühpädagogischer Räume und zur Erfassung von Raumqualitäten in die Qualitätsentwicklung für gute Bildung in der frühen Kindheit einbringen.
Der Praxis bieten das empirische Material und die Ergebnisse der Forschung ein Analyseinstrumentarium für pädagogische Räume an. Die Ergebnisse sensibilisieren die Wahrnehmung für Wirkung und Aneignung pädagogischer Räume. Sie werden für die Reflexion von Konzeptions- und Didaktik-Entwicklungen zur Verfügung gestellt. Hierfür wird das Projekt schon im Forschungsprozess durch einen responsiven Austausch mit den beforschten Kindertageseinrichtungen praxisorientiert befragbar. Es schließt mit einer wissenschaftlichen Tagung und einem pädagogischen Fachtag ab.
Literatur
Brinkmann, M. (2015). Phänomenoogische Methodologie und Empirie in der Pädagogik. Ein systematischer Entwurffür die rekonstruktion pädagogischer Erfahrungen. Theoretische und empirische Perspektiven. In M. Brinkmann, R. Kubac & S. S. Rödel (Hrsg.), Pädagogische Erfahrung. Theoretische und empirische Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS, S. 33-60.
Muchow, M. & Muchow, H. H. (1935/1998). Der Lebensraum des Großstadtkindes. Weinheim: Juventa-Verlag.
Schneider, K. (2015). Raumerforschung von Kindern bis zu drei Jahren. Zur Bedeutung von Raumerlebenals Grundlage von Weltaneignung. Verfügbar unter http://www.kita-fachtexte.de/uploads/media/KiTaFTSchneider2015.pdf
Stenger, U. (2011). Die wahrnehmende Tätigkeit der Sinne. Zum Phänomen des Wahrnehmens. In J. Bilstein (Hrsg.), Anthropologie und Pädagogik der Sinne.). Leverkusen: Verlag Barbara Budrich, S. 111-126.
Stieve, C. (2008). Von den Dingen lernen. Die Gegenstände unserer Kindheit. Paderborn: Fink.
Stieve, C. (2010). Sich von Kindern irritieren lassen. Chancen phänomenologischer Ansätze für eine Ethnographie der frühen Kindheit. In G. E. Schäfer & R. Staege (Hrsg.), Frühkindliche Lernprozesse verstehen. Ethnographische und phänomenologische Beiträge zur Bildungsforschung. Weinheim: Juventa-Verlag, S. 23-50.
AUF EINEN BLICK | |
Forschungsprojekt | RaumQualitäten - Eine Topograhie des pädagogischen Raums in Kindertageseinrichtungen |
Leitung |
Prof. Dr. Ursula Stenger Ansprechpartnerin Universität zu Köln: M.A. Antonina Poliakova Prof. Dr. Claus Stieve Ansprechpartnerin TH Köln: M.A. Michèle Zirves |
Mitarbeit Universität zu Köln |
M.A. Antonina Poliakova | Wissenschaftliche Mitarbeiterin Ann-Cathrin Heidrich | Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fabian Bädorf | Wissenschaftliche Hilfskraft |
Fakultät | Humanwissenschaftliche Fakultät |
Professur | Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Frühe Kindheit und Familie |
Projektpartner | TH Köln |
Fördermittelgeber | Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) |
Laufzeit | Januar 2019 bis Ende Juni 2022 |