LAZ – Das Lehrer-Jahresarbeitszeitmodell in Bielefeld, Minden, Porta-Westfalica, Rietberg: Eine Evaluationsstudie zu Erfahrungen und Einschätzungen von Lehrkräften
Problemstellung:
Die Arbeitszeitregelungen für Lehrerinnen und Lehrer variieren international auf der Grundlage der drei Bemessungsmaßstäbe Anzahl der Pflichtstunden, Anzahl der Präsenzstunden und Anzahl der Gesamtarbeitsstunden zwischen fünf Standardmodellen (Eurydice 2003, S. 35 ff)
(1) Präsenzmodell:
Neben definierten Pflichtstunden wird in diesem Modell eine Präsenzzeit festgelegt. Damit sollen Tätigkeiten außerhalb des Unterrichts – z. B. Beratungsgespräche, Kollegiumsabsprachen, Förderungen, Schulentwicklungsarbeit, administrative Aufgaben – ermöglicht und als Arbeitszeit berücksichtigt sein.
(2) Gesamtpräsenzzeit:
Die Lehrerarbeitszeit wird (fast) ausschließlich über die Anwesenheitszeit bestimmt, in der die Lehrkräfte in der Schule oder an einem anderen- von der Schulleitung festgelegten Ort sein müssen. Diese "directed time" ist auf eine definierte Anzahl von Arbeitstagen verteilt. Korrekturen,Unterrichtsvorbereitung, Beurteilungen usw. sind allerdings nicht in der "directed time" enthalten und müssen zusätzlich erbracht werden.
(3) Gesamtarbeitszeit:
Hier wird lediglich die jährliche Gesamtarbeitszeit festgelegt. Der unterrichtliche Einsatz erfolgt schulindividuell und bedarfsorientiert.
(4) Pflichtstundenmodell:
Diese traditionelle Art der Bemessung von Lehrerarbeitszeit berücksichtigt ausschließlich den Unterricht. Außer in Hamburg, wo Lehrerinnen und Lehrer seit 2003 nach einem Jahresarbeitszeitmodell arbeiten, und außer in einzelnen Modellprojekten wird das Pflichtstundenmodell in allen deutschen Bundesländern praktiziert.
(5) Jahresarbeitszeitmodell:
Neben der Unterrichtsverpflichtung wird die jährliche Gesamtarbeitszeit festgelegt. Im Rahmen dieser Gesamtarbeitszeit werden über den Unterricht hinaus alle übrigen Tätigkeiten der Lehrkräfte definiert und zeitlich berücksichtigt. Das Modell versucht das Gesamtspektrum der Lehrerarbeitszeit abzubilden.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Lehrerarbeitszeit findet in Deutschland weitgehend verhalten statt. Dabei haben bereits 1999 Mummert und Partner auf der Grundlage einer umfangreichen Arbeitszeituntersuchung in Nordrhein-Westfalen Vorschläge für ein weitergefasstes Arbeitszeitmodell formuliert (Mummert & Partner 1999, S. 92 ff). 2003 hat Hamburg mit der Einführung eines Jahresarbeitszeitmodells darauf reagiert.
Die im Bundesland Hamburg bereits erfolgte und im Rahmen von Modellversuchen in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bremen diskutierte Überarbeitung des Pflichtstundenmodells hin zu einem Jahresarbeitszeitmodell, reagiert vor allem auf vier Annahmen:
(1) Eine Festlegung der Lehrerarbeitszeit über die reine Unterrichtsverpflichtung stößt bei der Betrachtung notwendiger Schulentwicklungsprozesse immer mehr an Grenzen (vgl. z. B. den Ausbau der Ganztagsschulen).
(2) Im Kontext der bundes- und länderweiten Qualitätssicherungs- und Qualitätsentwicklungsstrategien sind Schulen als selbstständige Schulen in der Verpflichtung, selbst Verantwortung für Qualität zu übernehmen. Als eine wesentliche Voraussetzung dafür gilt, dass die Einzelschule auf der Organisations-, Personal- und Unterrichtsebene flexibel auf lokale Anforderungen reagieren kann.
(3) Eine möglichst hohe Arbeitszeittransparenz hat – in Verbindung mit dem Anspruch nach Arbeitszeitgerechtigkeit – positive Effekte auf schulische Steuerungs- und Entwicklungsprozesse sowie auf die persönliche Arbeitszufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern.
(4) Eine umfassende Berücksichtigung und Darstellung der Tätigkeiten von Lehrerinnen und Lehrern führt zu einer steigenden Wertschätzung schulischer Arbeit sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der eigenen Wahrnehmung.
Das „Mindener Modell“ am Freiherr-vom-Stein-Berufskolleg Minden und Adaptationen des Modells an Schulen in Bielefeld, Minden, Porta-Westfalica und Rietberg
Das sog. „Mindener Modell“ als Projekt des Freiherr-vom-Stein-Berufskollegs Minden ist die Operationalisierung eines Jahresarbeitszeitmodells, das unterrichtliche wie außerunterrichtliche Tätigkeiten und die jährlich zu leistende Gesamtarbeit – vergleichbar mit dem übrigen öffentlichen Dienst – berücksichtigt. Grundlage des Mindener Arbeitszeitmodells ist vor allem das Hamburger Arbeitszeitmodell (vgl. BBSHamburg 2003). Die Gesamtarbeitszeit (in Nordrhein-Westfalen jährlich 1.804 Stunden) wird differenziert in die beiden Bereiche Unterrichts- und Systemzeit.
Unterrichtszeit
Zur Unterrichtszeit werden neben dem in einer Klasse bzw. einem Kurs erteilten Unterricht zusätzlich alle den Unterricht unmittelbar begleitenden Tätigkeiten gezählt: Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, Klassenkonferenzen, Teilnahme an Fachkonferenzen, fachbezogene Beratung, Zensurenkonferenzen, Zeugnisschreibung, Evaluationsmaßnahmen zum Unterricht. Auf der Grundlage der Arbeitszeitfestlegungen von Mummert & Partner 1999 werden die entsprechenden Arbeitszeitanteile der originären Unterrichtszeit hinzugefügt und anschließend faktorisiert – jeweils bezogen auf Zeitstunden (Faktoren: vgl. Mummert Consulting 2005).
Korrekturfächer haben hier einen höheren Faktor als Nicht- Korrekturfächer; der Zeitwertungsfaktor verändert sich bei abweichenden Klassen- bzw. Kursgrößen.
Systemzeit
Alle schulischen Tätigkeiten, die nicht der Unterrichtszeitzugeordnet sind, sind Systemzeit (z. B. Schulprogrammarbeit, Methodentage, Pausenaufsicht, Konferenzen, Klassenleitung, Prüfungen, Beratungstätigkeit usw.). Regelmäßig wiederkehrende Aufgaben (Klassenlehrerschaft, Fachkonferenzleitung, Aufsichten usw.) sind mit innerschulisch vereinbarten Zeitpauschalen, singuläreTätigkeiten durch individualisierte Absprachen faktorisiert.
Die Lehrkräfte erhalten jeweils ein individuelles „Arbeitszeitkonto“, das von der Schulleitung geführt und von der Lehrkraft jederzeit eingesehen werden kann. Den Lehrkräften wird etwa 3 bis 4 Mal pro Schuljahr schriftlich der Stand ihres Kontos zur Kenntnis gegeben. Der Lehrerrat hat eine Kontrollfunktion.
Dieses Arbeitszeitmodell wird in Nordrhein-Westfalen – mit jeweils schulspezifischen Abweichungen – derzeit an sieben Schulen verschiedener Schulformen erprobt, wobei es für alle am Projekt beteiligten Schulen folgende Festlegungen gibt:
- Für die Lehrerinnen und Lehrer gilt – wie im übrigen öffentlichen Dienst – die 41-Stunden Woche;
- es gilt für jeden Kollegen / jede Kollegin gleichermaßen eine Nettojahresarbeitszeit von 1804 Stunden (bei 6 Wochen Urlaub und unter Berücksichtigung der Feiertage bezogen auf das Schuljahr 2005/6);
- für die Unterrichtstätigkeit an der Schule werden insgesamt 75% der Gesamtarbeitszeit angesetzt, incl. Vor- und Nachbereitungen und Korrekturen;
- für die Systemzeit (alle übrigen Tätigkeiten, incl. Prüfungen) werden 25% angesetzt;
- der jährliche Zeitaufwand pro Fach in einer Klasse wird mittels der „Hamburger Faktoren“ (vgl. www.korrekturfachlehrer.de ; link: Aktuelles / „Hamburger Faktoren“) folgendermaßen berechnet: Faktor des Faches x Wochenstunden x Unterrichtswochen im Jahr;
- die Zahl der Klassenarbeits- und Klausurschreiber wird zusätzlich berücksichtigt;
- es ergibt sich ein wöchentlicher Einsatz zwischen 21 und maximal 28 Unterrichtsstunden.
Evaluationsprojekt
In das Projekt Das „Lehrer-Jahresarbeitszeitmodell“ in Bielefeld / Minden / Porta-Westfalica / Rietberg. Konzepte, Realisierungen und Erfahrungen aus schulischer Sicht – eine externe Evaluation“ sind insgesamt fünf Schulen – zwei Berufskollegs und drei Gymnasien – einbezogen:
(1) Freiherr-vom-Stein-Berufskolleg
Kaufmännische Schulen des Kreises Minden-Lübbecke
Habsburgerring 53b,32425 Minden
(http://www.fvs-berufskolleg.de/; insbesondere: http://arbeitszeit.fvs-berufskolleg.de/)
(2) Carl-Severing-Berufskolleg für Bekleidungstechnik, Biotechnik Hauswirtschaft und Soziales
Huberstr. 40, 33607 Bielefeld
(http://www.csbhuber.de/)
(3) Herder-Gymnasiumder Stadt Minden
Brüningstr. 2, 32427 Minden
(http://www.herder-gymnasium-minden.de/ )
(4) Gymnasium Porta Westfalica
Hoppenstr. 48, 32457Porta Westfalica
(http://www.gymnasiumportawestfalica.de/ )
(5) Gymnasium Nepomucenum Rietberg
Torfweg 53, 33397Rietberg
(http://www.nepomucenum-rietberg.de/ )
Die Evaluation an den drei Gymnasien sowie an den beiden Berufskollegs geht zu einem ersten Messzeitpunkt (Ende des Schuljahres 2007/08) in einem „Screening“ den Fragestellungen nach:
- Welche Einschätzungen haben die Lehrerinnen und Lehrer gegenüber dem Konzept und gegenüber der ihnen bekannten Realisierung des „Jahresarbeitszeitmodells“?
- Welche Erfahrungen haben die Lehrerinnen und Lehrer bislang mit dem Arbeitszeitmodell gemacht? Wo sehen sie Stärken und Schwächen des Modells und der Praxis?
In einem modular aufgebauten (standardisierten) Lehrerfragebogen und in einem (halbstandardisierten) Interview mit dem Lehrerrat werden schulische Einschätzungen, Wahrnehmungen und (tatsächliche undantizipierte) Effekte der Veränderung im Hinblick auf Zeitautonomie, Zeitgerechtigkeit und Zeittransparenz untersucht (vgl. dazu Klemm 2006, S. 719 ff). Als Vergleichsgröße gelten dabei jeweils die Einschätzungen / Erfahrungen gegenüber:
(1) der vorherigen Arbeitszeitregelung;
(2) den Kolleginnen und Kollegen der eigenen und anderer Fächer sowie
(3) den veranschlagten Zeiten (Faktorisierung).
Nach der Screeningphase findet eine vertiefende Untersuchung ausgewählter Aspekte statt.
Zeitperspektive
Literatur
- Eurydice (2003). Der Lehrerberuf in Europa: Profil, Tendenzen und Anliegen. Bericht
III: Beschäftigungsbedingungen und Gehälter. Brüssel. - Klemm, K. (2006). Neue Arbeitszeitmodelle. Zum langsamen Abschied vom Standardmodell. In: Herbert Buchen/ Hans-Günter Rolff (Hrsg.), Professionswissen Schulleitung. Weinheim.
- Mummert Consulting (2005). Das Lehrerarbeitszeitmodell in Hamburg, Bericht zur Evaluation (im Auftrag der Behörde für Bildung und Sport). Hamburg.
- Mummert & Partner (1999). Untersuchung zur Ermittlung, Bewertung und Bemessung der Arbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer im Land Nordrhein-Westfalen. Zusammenfassung. Arbeitsstab Aufgabenkritik beim Finanzministerium Nordrhein-Westfalen. Hamburg.
Projektleitung: Prof. Dr. Rainer Peek
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Dipl.-Päd. Melanie Schreiber